Ähnliche Situation wie bei den Kinderärzten - das Österreichische Hebammengremium schlägt Alarm.
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Wien. Gleich vorweg: Es geht um die Betreuung von frischgebackenen Müttern nach der Geburt zuhause durch eine Hebamme. Hier liegt der Schlüssel bei 1:1172 in Wien. Eine Hebamme kommt damit rein theoretisch auf 1172 Geburten. Was zur Folge hat, dass lediglich 12 Prozent der Frauen in Wien die 17 Kassenhebammen in Anspruch nehmen können.
"Im Vergleich zu den anderen Bundesländern sind die Frauen in Wien stark unterversorgt", sagt Marianne Mayer, Leiterin der Landesgeschäftsstelle Wien des Österreichischen Hebammengremiums, am Mittwoch. "Wir fordern mehr Kassenhebammen in Wien - konkret für die Bezirke 1 bis 9, 13 und 23, denn dort gibt es gar keine", so Mayer.
Früher blieben Frauen fünf bis sieben Tage im Krankenhaus, sagt Johanna Sengschmid, stellvertretende Leiterin des Hebammengremiums, heute würden Frauen oft nach dem zweiten Tag entlassen. Umso dringender bräuchten sie eine Überwachung von Hebammen zuhause. Bis zu 20 Prozent der Mütter würden in eine Wochenbettdepression rutschen. Die Hebammen seien Teil der Gesundheitsförderung, sagt Sengschmid.
Unterstützung bekamen sie am Mittwoch von Peter Husslein, Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde Wien und Leiter der Abteilung für Geburtshilfe am AKH Wien. "Es gibt kaum ein Land, wo es so viele Spitäler gibt und wo die Menschen so gerne so lang drinnen sind", sagt Husslein. Er folgte der Devise "wer weniger Betten hat, hat gewonnen". "Die Patientinnen auf unserer Station werden alle vorzeitig entlassen." Das sei auch gut, denn eine Mutter mit einem gesunden Kind sei im Spital "am falschen Platz". Es sei aber ein Problem, wenn es die Strukturen draußen nicht gibt.
"Derzeit machen wir eine Fülle von Dingen, die mit dem Spital gar nichts zu tun haben. Wir machen es aber, weil es draußen nicht funktioniert", sagt Husslein zur "Wiener Zeitung". Als Beispiel nennt er die bei einem Säugling notwendigen Hörscreenings. Das sei in den ersten Tagen nicht notwendig, dürfe aber nicht übersehen werden. Diese Untersuchung könnte ein HNO- oder Kinderarzt durchführen, wenn er dafür geschult wäre. "Wir machen das im AKH, weil uns die Kinder und die Mütter leidtun, aber nicht, weil es ins Spital gehört". Viele Mütter bräuchten wenig Spital, aber eine gute Nachbetreuung.
Für Peter Husslein ist klar: Die Forderung der Ärztekammer, dass der niedergelassene Bereich gestärkt werden muss, sei zu 100 Prozent zu unterstützen. "Darin sind sich ja alle einig." Man brauche sich ja nur ansehen, dass etwa am Freitagnachmittag und am Wochenende keine Strukturen im niedergelassenen Bereich vorhanden sind.
Der Ärztefunkdienst am Wochenende funktioniert laut Husslein nicht. "Da brauchen sie nur in die Notfallambulanzen der Spitäler kommen, das ist ja zum Teil ein Kriegsgebiet, was sich da am Wochenende abspielt", so der Professor. Eine Notfallambulanz könne niemals dazu da sein, Basisversorgung am Wochenende "und dann zu machen, wenn die niedergelassenen Ärzte auf Urlaub sind".
Den Grund für diesen Zustand vermutet Husslein im alten System der verschiedenen Kostenträger. "Die Gebietskrankenkassen zahlen eine Pauschale für die ambulanten Leistungen des Spitals und wollen natürlich jetzt möglichst viel in diese Pauschalierung hineinpacken. Davon muss man wegkommen", sagt Husslein.
Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) befindet sich im Fall der Hebammen in der Zwickmühle. "Es ist prinzipiell eine Aufstockung bei den Kassenhebammen vorgesehen, ja", sagt Andrea Fleischmann von der WGKK zur "Wiener Zeitung". Allerdings werde dies derzeit im Zuge eines Gesamtvertrages beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ausverhandelt. "Und da müssen alle zustimmen", so Fleischmann. Leider seien die Gespräche, die bereits seit 2009 laufen, noch zu keinem Ende gekommen. "Für die Frauen ist die Lage derzeit nicht zufriedenstellend", sagt sie, aber Wien sei in diesem Fall von einem bundesweiten Vertrag abhängig. Immerhin gebe es bereits einen "Grobvorschlag", der etwa neue Versorgungseinheiten bei Kinderärzten oder Überlegungen für einen Hebammenbereitschaftsdienst vorsieht.
Dass die Anzahl der Planstellen für Kassenhebammen zu wenig ist, darüber sind sich alle einig. Bevölkerungswachstum, die in den Spitälern forcierte schnellere Entlassung und der allgemeine Trend zur Hebamme haben die Anforderungen verändert. Derzeit befinden wir uns in einer "schleichenden Privatisierung", sagt Patientenanwältin Sigrid Pilz. Nicht jeder könne sich privat eine Hebamme leisten. Frauen hätten aber einen vertraglichen Anspruch auf eine Hebammenbetreuung im Wochenbett.
Was von den Hebammen schon erreicht wurde, ist ein bezahltes Hebammengespräch im Zuge der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen seit dem Jahr 2015. Rund 50 Verträge wurden dazu seither zwischen der Wiener Gebietskrankenkasse und den Hebammen abgeschlossen. "Jede Hebamme, die einen Vertrag mit uns möchte, bekommt einen", so Fleischmann von der WGKK.