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Zubetonierte Vergangenheit

Von WZ-Korrespondent Denis Meraru

Europaarchiv

In Pitesti wurden Häftlinge gezwungen, ihre Mitgefangenen zu foltern. | Unbequeme Erinnerung contra großes Geschäft. | Pitesti. Aristide Ionescu zeigt auf eine Zelle mit Holzpritschen. Hier wurden die Gefangenen angebunden und gefoltert - durch die eigenen Mithäftlinge. Zwischen 1949 und 1953 führte der berüchtigte rumänische Geheimdienst Securitate hier das "Pitesti-Experiment" durch. Die Häftlinge sollten umerzogen werden, indem sie selbst folterten und töteten. Insgesamt 5000 Menschen, vor allem Studenten, gingen hier durch die Hölle. Von ihnen starben 64 bereits im Gefängnis, weitere 500 kurz nach ihrer Freilassung. Der Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn, selbst Häftling im sowjetischen Gulag, nannte das Experiment eines der größten Verbrechen der Gegenwart.


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Der heute 81-jährige Ionescu war einst selbst Häftling hier. Er kann nicht verstehen, warum das Gefängnis von Pitesti nun abgerissen werden soll. Bisher seien nur die Leichen von sechs Opfern gefunden worden. Die andern könnten im Hof des Gefängnisses begraben sein. "Aber ich glaube, dass ehemalige Securitate-Offiziere froh sind, wenn die Überreste der Misshandelten nicht entdeckt werden."

Totgeschwiegen

Das Pitesti-Experiment wird in Rumänien weitgehend totgeschwiegen. In Geschichtsbüchern finden sich höchstens ein paar Zeilen. In den USA dagegen gibt es an der Universität Berkeley einen eigenen Lehrstuhl über das Experiment. So ist es nicht verwunderlich, dass neben hunderten ehemaligen Häftlingen auch mehrere Vereinigungen in den USA, Kanada und Australien beim Kulturministerium in Bukarest gegen den Abbruch protestiert haben.

Trotz der Proteste steht vom 1938 errichteten Gefängnis nur noch ein Zellentrakt. Mehrere andere sind bereits dem Abbruch zum Opfer gefallen. Dabei hat die zuständige Denkmalpflege noch nicht einmal ihre Zustimmung gegeben. "Das verbleibende Gebäude darf unter keinen Umständen abgerissen werden. Es hat einen großen historischen und denkmalpflegerischen Wert", sagt ihr Direktor Bogdan Cioba. "Die Stadtverwaltung hätte uns informieren müssen über ihren Entscheid, den Abbruch zu genehmigen." Doch die Baufirma, die den Abriss durchführt, hat beste Beziehungen zur Stadtverwaltung. Es war für sie kein Problem, die nötigen Bewilligungen zu bekommen. Der letzte noch bestehende Zellentrakt soll durch eine andere Firma abgerissen werden, die einen Wohnblock errichten will.

Ein Entscheid, der den Abriss noch stoppen könnte, ist bisher nicht gefallen. Bürgermeister Tudor Pendiuc gibt sich gelassen. "Wir arbeiten derzeit daran, das Problem zu lösen." Er versucht, den Schwarzen Peter an Bukarest weiterzugeben. "Vielleicht sollte das Kulturministerium das Gebäude kaufen und es zum Unesco-Weltkulturerbe erklären, wie es das verdient." Pendiucs Stadtverwaltung hat schon bisher bewiesen, dass es sich um das kulturelle Erbe und die Gesetze um dessen Schutz nur wenig kümmert. Seine Bauverwaltung erteilt immer wieder Abrissgenehmigungen für die historischen Teile der Stadt, ohne die Denkmalpflege zu fragen. Neue Gebäude werden unmittelbar neben Baudenkmälern errichtet, obwohl das Gesetz einen Mindestabstand von 100 Metern vorsieht.

In Pitesti geht es um Geld, viel Geld. Hier wird für Dutzende Millionen Euros gebaut. Vieles davon fließt in die Taschen der Reichen und Mächtigen von Pitesti. Ein altes Folterzentrum mit seinen ungeliebten Erinnerungen steht da nur im Weg.