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Zuchtgewebe erleichtert Leben

Von Eva Stanzl

Wissen
Künstliche Blutgefäße sind die Voraussetzung für im Labor gezüchtete Organe.
© LBI

Maßgeschneiderte Medikamententests an menschlichen "Organoiden".


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Wien. Künstlich hergestellte Organe, Knochen, Knorpel, Blutgefäße, Haut und Zähne, sowie im Labor gezüchtetes Rückenmark: Das ist die Vision des Tissue Engineering (Gewebezüchtung): Rund 2000 Fachexperten präsentieren derzeit beim dritten Weltkongress der Internationalen Gesellschaft für Gewebszüchtung und Regenerative Medizin (Termis) in Wien ihre Ergebnisse.

Dabei geht es um weit mehr als den bloßen Test aufs Exempel, wie der Fall war als vor Jahren Wissenschafter des Massachusetts Institute of Technology eine Maus schufen, auf deren Rücken ein Ohr wuchs. Medienwirksam und auf für manche Menschen schaurige Weise diente das Versuchstier dem Beweis, dass Knorpelzellen auf Polymer-Gerüsten im Körper anwachsen können, um bei Unfällen verlorene Körperteile zu ersetzen.

Stammzellen als Basis

für "Organoide"

Heute werden viele Arten von gesundem Gewebe im Labor hergestellt, um Krankes im Körper zu ersetzen. Knochenbrüche sollen somit schneller und besser verheilen, Rückenmarksverletzungen leichter zu ertragen sein, altersbedingte Rückenschmerzen der Vergangenheit angehören und künstlich hergestellte Netzhäute geschädigten Augen neue Sehkraft verleihen. In Wien verglichen Forscher aus 65 Ländern, wie nahe sie diesem Ziel sind.

Grundlage des Tissue Engineering sind oftmals induzierte pluripotente Stammzellen. Zur Erklärung: Embryonale Stammzellen von aus der künstlichen Befruchtung übrigen Embryonen sind Alleskönner, weil sie sich noch in alle Zelltypen entwickeln können. Aufgrund dieser Eigenschaft wären sie ideal, um ganz bestimmte Gewebetypen zu züchten. Da sie allerdings auch Krebs fördern, kommen sie in Gewebezüchtung nicht zum Einsatz. Die Mediziner bedienen sich zumeist ausdifferenzierter Zellen, etwa Haut- oder Harnzellen, und programmieren sie zurück zu Alleskönnern. Mit den induzierten Alleskönnern konnten etwa japanische Forscher jüngst eine Netzhaut im Labor schaffen, die sie nun klinisch testen. Experten erwarten, dass um 2015 eine gezüchtete Leber und um 2020 Herzgewebe, das die Folgen von Herzinfarkt wieder gut machen soll, in die klinischen Testphasen gehen.

"Freilich handelt es sich dabei noch nicht um vollständige Organe, wie eine ganze Leber oder ein ganzes Herz", betont Kongressorganisator Heinz Redl. Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für experimentelle und klinische Traumatologie, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Vielmehr fertigen wir Leber-Organoide an." Die allermeisten Organe sind komplex und bestehen nicht nur aus einem, sondern aus vier oder fünf Zelltypen. Nur künstliche Harnblasen, Speise- und Luftröhren werden heute klinisch verwendet, denn sie bestehen nur aus einem bis zwei Zelltypen.

Redl und seine Kollegen bringen unter anderem Stammzellen aus Harn in Richtung Organzellen. Auf einem Untergrund aus Fibrose - der im Blutplasma enthaltene "Kleber", mit dem der Körper Wunden schließt - lassen sie ein Grundgerüst etwa einer Leber wachsen und stimulieren dieses auf eine Art und Weise, die weitere Stammzellen anlockt, die am Umfeld erkennen, wohin sie sich entwickeln sollen. "Die Methode ermöglicht unter anderem Medikamententests an menschlichem Gewebe. Theoretisch könnte man auch von jedem Kranken ein eigenes Organoid anfertigen, um zu testen, wie ein Mittel bei ihm persönlich wirkt", so der Traumatologe. Um die Kosten in Grenzen zu halten, arbeiten die Forscher jedoch in Richtung Krankheits- und Personentypen.

Ein anderer Ansatz ist, Knochendefekte nach schweren Brüchen zu reparieren und fehlende Knochensplitter zu ersetzen. Im Tierversuch wuchs am Boltzmann-Institut bei Ratten Knochenmasse aus Stammzellen, die die Forscher fluoreszierend markiert hatten, sichtbar nach. "Anstatt das Material nur im Labor zu züchten, haben wir es in diesem Fall in den Körper eingesetzt", erklärt Redl.

Hoffnung für

Querschnittgelähmte

Sollen menschliche Ersatzteile oder ganze Organe wie eine Leber, Niere oder Knochen im Labor erzeugt werden, benötigt das Organ Blutgefäße, damit es mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden kann. Forscher um Redls Kollege Wolfgang Holnthoner sind bereits so weit: Aus Gefäßstammzellen stellen sie Adern und Gefäßbäume her. Holnthoner lässt verschiedene Zellen unter speziellen Bedingungen miteinander verwachsen: Vorläufer der Endothelzellen, die die innerste Schicht der Gefäßwand bilden und Fettstammzellen werden in einer Fibrin-Matrix, die reich an Wachstumsfaktoren ist, gezüchtet. "Der Zweck ist natürlich, ein reifes Organ für den Menschen als Ersatzteil nach einem Unfall oder einer Krankheit herzustellen. Bis es zur Anwendung kommt, wird allerdings noch Zeit vergehen" , betont der Forscher.

Auch das Leben von Querschnittsgelähmten könnten sich durch Tissue Engineering verbessern. Wirbelsäulenverletzungen gehen mit Entzündungen und Narbenbildung im Nervengewebe einher, die der Heilung entgegenwirken können. Die Forscher haben neuartige Moleküle speziell für die Gewebezüchtung entwickelt, die biokompatible Nanofasern formen und somit das Zellwachstum unterstützen. Sie erreichten einen deutlichen Rückgang der Entzündungen, Verbesserungen in der Reizweiterleitung und Fortschritte in der Wiederherstellung der Bewegungs-Funktionalität.