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An der Hitze kann es nicht liegen, dass wir ernsthaft darüber diskutieren, ob man Flüchtlinge im Mittelmeer retten soll, oder ob orthodoxe Juden in Österreich Platz haben. Und trotzdem tun wir so als ob.
Dass in einer säkularen Welt jeder Standpunkt a priori gleichberechtigt dasteht, diese Haltung ist für die meisten Menschen mit starken Überzeugungen eine der größten Zumutungen. Trotzdem ist es der selbstverständliche Ausgangspunkt in einer Gesellschaft ohne feste Wahrheiten, an dem jede Diskussion beginnt.
Es gilt die Möglichkeit, dass das Gegenüber recht haben könnte.
Allerdings würde uns alle eine solche Welt heillos überfordern. Weshalb einige Prinzipien des Zusammenlebens festgeschrieben wurden, auf dass sie nicht ständig dem Streit der Argumente ausgesetzt sind. Und damit Zeit und Muße bleibt, sich um neue beziehungsweise wirklich umstrittene Fragen zu kümmern.
Wobei man schon sagen muss, dass wir über etliche theoretische Fragen eigentlich nicht groß debattieren müssten. Schließlich gilt auch für die Politik etwas, was sich im Alltag sehr bewährt: Der gesunde Hausverstand hilft fast wie von allein bei der Unterscheidung von Wichtigem und weniger Wichtigem, von Sinnvollem und Jenseitigem.
Schiffbrüchige Menschen vor dem Ertrinken zu retten, ist Pflicht. Wer es nicht tut, begeht ein Verbrechen - vor dem Gesetz und vor allem Höheren. Was mit geretteten Flüchtlingen geschehen soll, darüber zu streiten, ist legitim. Ähnlich der Streit ums Schächten: Für jeden vernünftigen Menschen, der von der Idee einer Registrierung von Juden, die koscheres Fleisch kaufen möchten, hörte, war glasklar: Das geht sich nicht aus. Das kann sich nicht ausgehen.
Trotzdem entwickelten Politiker - angestoßen durch ein Urteil des Landesverwaltungsgerichts - diese Idee. Die Nachricht von der Absicht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Bis eben das offensichtlich Selbstverständliche doch seinen Lauf nahm und von höherer Stelle die Stopptaste gedrückt wurde.
Jenseitige Ideen eine Zeit lang für ganz hervorragend zu halten, ist kein Privileg der FPÖ. Die Liste Pilz etwa reagierte auf den Registrierungsplan mit der Forderung, das Schächten aus Gründen des Tierschutzes zur Gänze zu verbieten. Damit würde orthodoxen Juden ein Leben in Österreich unmöglich gemacht. Echt jetzt?
Es ist gefährlich für eine Demokratie, wenn legitime Standpunkte von vornherein keine Chance haben, sich argumentativ zu behaupten. Nichts spricht aber dagegen, dass Politiker ihren Hausverstand als erstes zurate ziehen, bevor sie mit der Umsetzung von Plänen beginnen. Das würde uns in Hinkunft so manche Aufregung ersparen.