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Spitzenkandidat der Bürgerplattform zur Zukunft der EU. | Polen plädiert für freien Markt für Dienstleistungen.
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"Wiener Zeitung":Außenpolitische Themen kommen im polnischen Wahlkampf so gut wie nicht vor. Was kann Europa von der künftigen Regierung Polens erwarten?Jan Rokita: Keine übertriebenen Überraschungen. Das Wichtigste für uns Polen ist derzeit die europäische Integration und Solidarität. Weiters sind wir am Ausbau der Demokratie interessiert - vor allem bei unseren Nachbarn. Ebenso wichtig ist uns das transatlantische Bündnis als Voraussetzung für Polens Sicherheit.
Gerade die Anlehnung Polens an die USA wird in Westeuropa oft kritisiert. Denn die Europäische Union wird in Polen selten an erster Stelle genannt . . .
Zuerst kommt Polen. Wir brauchen keinen Protektor, und wir müssen auch keine Wahl treffen. Wir wollen die Interessen Polens vertreten. Wenn wir dazu die enge Zusammenarbeit der europäischen Staaten brauchen, dann werden wir mit ihnen kooperieren. Und wo es die Amerikaner braucht, dort werden wir mit diesen kooperieren. So verhalten sich alle unabhängigen und selbstbewussten Staaten.
Das ist aber ein weiterer Vorwurf an Polen: Dass es in erster Linie an der polnischen und nicht der europäischen Sache interessiert ist.
Jedes Land ist an seiner eigenen Sache interessiert. Doch das Interesse Polens fällt derzeit mit dem Interesse Europas zusammen - an Integration und Solidarität. Uns gefällt das antieuropäische, egoistische Verhalten der größten europäischen Staaten nicht. Uns gefällt nicht, dass die Großen die Maastricht-Kriterien brechen oder die europäische Solidarität gefährden können und die Kleinen nicht.
Was kann Polen tun, um die europäische Integration und Solidarität zu festigen? Was ist das polnische Rezept gegen die Schwäche der EU?
Das Rezept ist seit langem bekannt. Doch nicht alle wollen es anwenden. Es ist der gemeinsame Markt, vor allem bei den Dienstleistungen, ebenso ein Ende der Angst vor Konkurrenz, geringe Steuern, Freizügigkeit der Arbeitnehmer in allen EU-Staat. Wenn die EU die Integration vorantreibt und gleichzeitig offen und konkurrenzfähig nach innen ist, wird alles gut gehen. Allerdings haben viele Länder sich in den letzten Jahren eher abgeschottet von der Welt, auch von ihren Partnern.
Welche Beispiele meinen Sie?
Etwa die Übergangsfristen für den Arbeitsmarkt. Ein Skandal ist die Blockade des freien Marktes für Dienstleistungen durch jene Länder, die am lautesten die Integration Europas verlangt haben. Die Politik in Europa hat zwei Gesichter.
Der Integration Europas sollte auch die Europäische Verfassung dienen. Diese haben sie mit den Worten "Nizza oder der Tod" abgelehnt. Welche Haltung werden Sie künftig einnehmen?
Mit uns wurde ein anderer Vertrag, der Vertrag von Nizza, geschlossen. Das hat die polnische Bevölkerung ratifiziert. Dann kam der Versuch, uns zu betrügen, indem ein paar Monate später ohne unser Zutun dieser Vertrag ersetzt werden sollte. Was in Nizza vorgelegt wurde, sollte erfüllt werden, falls Polen nicht einer Änderung zustimmt.
Dies könnte mit einem - derzeit verschobenen - Referendum über die Verfassung erfolgen.
Es wird kein Referendum geben. Eine Abstimmung über eine Verfassung, die es nicht gibt? Wir sind doch normale Menschen!
Wie soll es also mit der Ratifizierung weitergehen?
Am besten wäre es, unumstrittene Elemente der Verfassung wie etwa die gemeinsame Außenpolitik in eine neues Dokument zu fassen, das dann rasch beschlossen werden könnte. Unter Umständen wäre dazu kein Referendum notwendig. Aber wenn jemand in Europa weiter die Maxime alles - also Valery Giscard d'Estaings Entwurf - oder nichts vertritt, dann wird es nichts.
Ein weiteres Problem ist der noch immer ausständige Beschluss über den Finanzrahmen der EU für 2007 bis 2013. Wird Polen einer Beschränkung der Ausgaben zustimmen, wie es Nettozahlerländer verlangen?
Es ist absurd, ein Mehr an Europa und gleichzeitig die Beschränkung des Budgets zu fordern. Wir möchten ein Mehr. Wenn die Nettozahler weniger wollen, dann müssen wir uns danach richten. Aber bitte uns nicht zu erzählen, dass ein Mehr an Europa mit weniger Geld geht. Denn dann hätten wir das Gefühl, wir sind nicht in eine ernstzunehmende Staatengemeinschaft eingetreten sondern in ein Irrenhaus.
Umfasst das Interesse Polens an der Integration auch das Engagement für weitere Beitrittsländer?
Laut Umfragen sind die Polen unter allen EU-Bürgern am meisten an einer weiteren Integration interessiert. Sie unterstützen die Erweiterung um die Türkei, Ukraine, Moldawien, Kroatien. Polen hat keine Angst davor. Die Argumente der reichsten Länder, dass später weniger Geld für uns zur Verfügung stünde, sprechen uns nicht an. Wenn es so sein soll, dann in Ordnung. Es kann nicht sein, dass krankhafte Angst vor Fremden genährt wird. Ob der polnische Installateur oder der türkische Arbeiter - vor wem fürchtet sich Europa eigentlich noch nicht?
Zur Person:
Der ehemalige Dissident Jan Rokita ist der Spitzenkandidat der in Umfragen führenden Bürgerplattform (PO). Der 46jährige Krakauer Jurist war 1992 bis 1993 Minister in der Regierung von Hanna Suchocka. Damals war er Mitglied der aus der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc hervorgegangenen Demokratischen Union, später wechselte er zur Wahlaktion Solidarnosc. Seit 2003 ist Rokita Klubobmann der PO im polnischen Parlament.
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