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Zugfahren heute: Abenteuer mit fraglichem Ende

Von Michael Schmölzer und Beppo Beyerl

Politik

Zahlreiche Untersuchungen zeigen: Die "Transithölle", die den Tirolern nach Auslaufen des Transit-Vertrags mit 1. Jänner 2004 ins Haus steht, wird auch dem Osten Österreichs nicht erspart bleiben. Das nicht zuletzt deshalb, weil die zuständigen Planer auf das mit der EU-Erweiterung zu erwartende zusätzliche Verkehrsaufkommen mit einem forcierten Ausbau der Straße reagieren. Die Schiene spielt in den Überlegungen der Politiker eine eher untergeordnete Rolle. Wie schlecht es um die Bahnverbindungen zwischen Wien und den Städten der angrenzenden EU-Beitrittsländer wirklich steht, macht erst ein Blick in die Vergangenheit deutlich.


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Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) schlägt Alarm: Den neuesten Berechnungen zufolge muss der Osten Österreichs im Jahr 2010 mit rund 80.000 Besuchern, die Tag für Tag aus den Nachbarstaaten einpendeln, rechnen. Allein 30.000 davon wollen nach Wien - mit dem Auto, versteht sich, denn der Trend zum eigenen Pkw vollzieht sich in den Reformländern explosionsartig. Dazu kommt der steigende Güterverkehr. Zu erwarten ist, dass in den Jahren nach der Erweiterung 2004 statt 7,7 Millionen 25,7 Millionen Tonnen an Fracht über die Straßen donnern. Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl rechnet vor, dass ab 2010 auf der A4 so viele Laster unterwegs sein werden, wie jetzt am Brenner. Der Kohlendioxidausstoß wird entsprechend in die Höhe schnellen.

Die Bahn wird in Zukunft keine große Rolle spielen

Die Alternative zu diesem Szenario liegt auf der Hand: Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs auf die weit umweltfreundlichere Schiene. Die Ausgangslage dafür ist aber denkbar schlecht. Beobachtet man die Trends der letzten Jahrzehnte, wird klar: Die Bahn ist vielleicht in grauer Vorzeit das Verkehrsmittel der Zukunft gewesen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In Österreich stehen 6.187 Kilometer an Schiene einem Straßennetz von 107.000 Kilometer gegenüber. Autobahnen, Schnell- und Bundesstraßen überflügeln mit einer Gesamtlänge von 12.000 Kilometer die Schiene immer noch um das Doppelte. EU-weit ist das Schienennetz von 170.000 Kilometern im Jahr 1970 auf rund 153.000 Kilometer im Jahr 1999 geschrumpft. Im selben Zeitraum ist das Straßennetz der EU von 2,6 Millionen Kilometer auf 3,2 Millionen Kilometer gewachsen.

Österreich liegt hier voll im europäischen Trend: Von Wien wird ab 2009 die Nordautobahn als Teil des "Transeuropäischen Verkehrsnetzes" über Drasenhofen nach Tschechien gehen. Darüber hinaus soll die Südosttangente ausgebaut, die Donauuferautobahn verbreitert und ein Autobahnring um Wien geschaffen werden. Vorkehrungen für den Ansturm an "Brummis" und Pkws aus den Nachbarländern sind also getroffen.

Wer den fahrbaren Untersatz stehen lassen und unsere künftigen EU-Kollegen mit der Bahn besuchen will, darf es dagegen oftmals nicht eilig haben. In die slowakische Hauptstadt Bratislava (Preßburg) etwa fährt der Zug zwar erfreulich regelmäßig, man muss aber damit rechnen, dass man nach dreiviertelstündiger Fahrt in der Trabantenstadt Petrzalka aussteigt und dann erst mit dem Bus an sein Ziel gelangt.

Auf manche Probleme stoßen Passagiere, die regelmäßig von Wien ins tschechische Znaim (Znojmo) müssen. Immerhin gibt es seit einiger Zeit täglich vier Direktverbindungen, wer eine solche erwischt, braucht für die Fahrt etwa eineindreiviertel Stunden. Im Normalfall muss man in Breclav in einen Regionalzug umsteigen, dann kann die Reise, wenn es dumm läuft, bis zu zwei Stunden 40 Minuten dauern.

Mit den Zähnen knirschen diejenigen, die zu späterer Stunde unterwegs sein müssen. Versäumt man den Zug Wien-Znaim, der um 19:50 vom Südbahnhof abgeht, dann darf man die nächsten neun Stunden nichts vorhaben. Der Zug, der um 21:40 abfährt, hält in Breclav. Dort muss man dann geschlagene fünf Stunden auf den Anschluss warten, bis man um 6:40 in Znaim ankommt. Der Bus, der um 22:00 vom Südtiroler Platz abfährt, ist ebenfalls nicht zu empfehlen: Man ist zwar zur selben Zeit nämlich so gegen sieben in der Früh in Znaim, sieht sogar im Verlauf der Reise Bratislava, wo man umsteigen muss, strandet dann aber ebenfalls für dreieinhalb Stunden in Breclav, bevor es weitergeht.

Zu Kaisers Zeiten war

manches viel besser

Hier lohnt ein Blick in jene Zeit, als in Wien noch ein Monarch residierte, Österreich eine Großmacht und das Automobil eine eher exklusive Sache war. Wie der kaiser-königliche Fahrplan vom Sommer 1914 verrät, startete anno dazumal genauso wie heute ein Zug nach Znaim um 21:40. Und zwar vom Nordwestbahnhof. Der Unterschied ist der, dass das damalige Dampfross bereits um 23:16 in Znaim angekommen ist. Das heißt, man war zu Kaisers Zeiten in diesem Fall um über sieben Stunden schneller als heute.

Auch bei einem direkten Wettrennen zwischen ÖBB und K.k österreichischen Staatsbahnen würden letztere fallweise den Sieg nach Hause tragen. Der derzeit flinkste Zug braucht 1 Stunde 36 Minuten nach Znaim, umgestiegen wird in Retz. Der entsprechende Abendzug des Jahres 1914 ging um 20:20 los und kam um 21:52 an, brauchte somit - wenn alles nach Plan lief, was auch nicht immer der Fall gewesen sein dürfte - 1 Stunde 32 Minuten und siegt mit vier Minuten Vorsprung.

Diesem Bild wird auch die heutige, besonders schlecht ausgebaute, Zugs-Verbindung Wien-Budweis (Ceske Budejovice) gerecht: Es gibt keinen einzigen Direktzug, man muss mindestens einmal, fallweise auch zweimal, umsteigen. Kein Vergleich zu 1914, da verkehrten täglich sieben Züge direkt, davon waren vier Schnellzüge. Und die benötigten für die Strecke Wien-Budweis gerundete dreieinhalb Stunden. So schnell reist man heutzutage - mit einer einzigen Ausnahme - nicht. Und wer anno 2003 den Zug um 16:50 Franz-Josefsbahnhof versäumt, der sollte von seinem Ansinnen, nämlich in die schöne Bierstadt zu gelangen, tunlichst Abstand nehmen. Er kann zwar mutig um 23:40 vom Westbahnhof aufbrechen, hat dann in Amstetten aber drei Stunden Aufenthalt bis es nach Linz weitergeht. Dort darf er nach einer weiteren halben Stunde müden Fußes den Schnellzug nach Budweis besteigen.

Wenig Verkehr in Richtung "Eiserner Vorhang"

Warum also ging es vor 90 Jahren in vielen Fällen schneller? Des Rätsels Lösung liegt im Ausbau des Bahnnetzes einst und jetzt (siehe Grafik oben). Denn von den 1914 im Großraum Wien existenten vier "Eisenbahnlinien mit Schnellzugsverkehr" Richtung Mähren und Böhmen ist heute nur noch eine übrig geblieben, der Rest wurde auf Lokalbahn-Niveau degradiert, die Verbindung über Laa an der Thaya gibt es überhaupt nicht mehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Verbindungen zwischen den benachbarten Ländern auf ein Minimum reduziert. Das zweite Gleis der Franz-Josephs-Bahn wurde ab dem Jahr 1959 abgetragen. Während des Kalten Krieges gab es zwischen Wien und Prag nur noch eine einzige Zugverbindung, den Triebwagenschnellzug Vindobona.

Die "tote Grenze" zum ehemaligen Ostblock hat sich immer noch nicht so recht belebt, die einstigen Direktverbindungen wurden nicht wieder aufgenommen, die österreichisch-tschechischen Fahrpläne bleiben weiter schlecht aufeinander abgestimmt.

Die Geschichte des so genannten "Bäderzuges", der ab 1875 zwischen Wien und Cheb/Eger verkehrte, illustriert die schrittweise Verschlechterung der Bahnverbindungen: Dauerte die Fahrt zu dem Verkehrsknoten, von wo es in die Kurorte Karls- und Marienbad weitergeht, 1914 noch knapp neun Stunden, war es in der Zwischenkriegszeit, bedingt durch die Grenzkontrollen, schon eine halbe Stunde mehr. Die im Winterfahrplan 2003/2004 angeführte Verbindung Wien-Cheb braucht 11 Stunden 30 Minuten.

Dass es bei den Zugsverbindungen Richtung Norden und Osten in den letzten Jahren beträchtliche Verbesserungen gegeben hat, ist unbestritten. An den Finanzmitteln, die EU-weit für Schienenprojekte bereitgestellt werden, sieht man aber: Die Zukunft gehört der Straße mit all ihren problematischen Nebeneffekten.