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Zukunftsfähiges Wirtschaften in Zeiten großer Umbrüche

Von Jürgen Essletzbichler, Andreas Novy und Sigrid Stagl

Gastkommentare
Sigrid Stagl ist Co-Direktorin des Kompetenzzentrums Sustainability Transformation and Responsibility (STaR) an der WU Wien.
© Lukas Pelz

Es braucht neue Konzepte und neue Strategien, auch bei der Wirtschaftsbildung.


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Alle, jede und jeder Einzelne, sind Wirtschaft. Alle Menschen wirtschaften, indem sie sich um die Bereitstellung ihrer jeweils eigenen und unser aller Lebensgrundlagen sorgen: Viele Stunden täglich verbringen wir mit bezahlter und unbezahlter Arbeit; Unternehmen stellen Güter und Dienstleistungen bereit, die unser Leben erleichtern; über Geld zu verfügen, sei es als Taschengeld, Gehalt oder Pension, gibt uns Kaufkraft, macht uns zu Konsumentinnen und Konsumenten, sichert unseren Lebensstandard.

Ohne es zu wollen, führt genau dieser Konsum zu Emissionen und Ressourcenverbrauch, der Dürren, Überschwemmungen und Kriege befördert. Wirtschaft geht uns alle an. Wir alle sollten deshalb wissen, wie Wirtschaft funktioniert: Warum leben wir heute viel bequemer als unsere Großeltern? Und warum fürchten viele, dass dies in Zukunft nicht mehr möglich sein wird?

Dass sich Klimajournalismus mit diesen komplexen Themen beschäftigt ist zu begrüßen; ebenso, dass nun an der TU Wien ein Kompetenzzentrum "Alltagsökonomie: öffentliche Infrastruktur, Daseinsvorsorge, Nahversorgung" entsteht. Der innovative Ansatz der Alltagsökonomie trägt der Bedeutung von Wirtschaften für das Alltagsleben Rechnung. Er unterscheidet jene Wirtschaftsbereiche, die Grundgüter wie Wasser und Energie sowie Grunddienste wie Gesundheit, Pflege und Bildung bereitstellen, von marktwirtschaftlichen Wirtschaftsbereichen. Wirtschaftspolitisch leitet sich daraus die Forderung ab, gerade in Krisenzeiten Erstere zu bevorzugen. Und angesichts der Klimakrise sind die notwendigen Einsparungen von Emissionen und Ressourcen vor allem bei Zweiteren gefordert.

Damit liegt diesem Kompetenzzentrum derselbe sozioökonomische Zugang zu Wirtschaft zugrunde, mit dem auch am Department für Sozioökonomie der WU Wien gleichermaßen zu unternehmerischen Problemen, großen gesellschaftlichen Herausforderungen und den aktuellen Sorgen von Menschen geforscht und gelehrt wird. Wirtschaft ist in Gesellschaft und in biophysische Prozesse eingebettet. Ohne menschenfreundliches Klima und ohne friedliche und demokratische Gesellschaft gibt es kein zukunftsfähiges Wirtschaften. Dies ist eine wichtige Erkenntnis in Zeiten weitreichender Umbrüche.

Ökonomie und Soziologie

Sozioökonomische Forschung zeigt etwa, dass das Verhalten der Einzelnen wesentlich von Rahmenbedingungen abhängt. Forschung zu Ungleichheit zeigt, dass nicht wenige mit ihrem Einkommen kaum über die Runden kommen. Finanzbildung ist dann manchmal näher an Sozialarbeit als an Finanzmarktbildung: Zu verhindern, in der Schuldenfalle zu landen, ist gelegentlich wichtiger als das Wissen darüber, wie Eigentum erworben werden kann. Damit stehen Fragen der Optimierung der eigenen Mittel für bestmögliche Veranlagungen neben der Sorge anderer, nicht länger dazuzugehören: Erst Ökonomie und Soziologie zusammen liefern ein vollständiges Bild über Verschuldungs- und Veranlagungsentscheidungen.

In der Klimaforschung wiederum ist klar, dass wir eine umfassende Transformation, einen grundlegenden Wandel, in Wirtschaft und Gesellschaft brauchen, um einen Rückgang von Well-Being, Lebensqualität und Wohlergehen zu vermeiden. Dieser Rückgang droht aufgrund einer verschlechterten Umwelt und ungleicher Teilhabe-Chancen, die zu sozialen Konflikten führen. Auch in der Klimaforschung ist mittlerweile Konsens, dass eine gesicherte Grundversorgung für alle und ambitionierte Klimapolitik Hand in Hand gehen müssen. Das hat Auswirkungen auf Finanzmärkte und Ungleichheit. Gerade im Finanzbereich wird es nämlich wesentlich darauf ankommen, die Konzentration von Finanzvermögen und die damit einhergehenden übermäßigen Emissionen - Stichwort Luxusjachten, Privatjets und SUVs - einzuschränken.

Aus all diesen Gründen ist die aktuelle Debatte über gute Wirtschaftsbildung zu begrüßen. Niemand wird bestreiten, dass hier in Österreich Verbesserungen möglich sind. Es braucht jedoch unterschiedliche Zugänge, inhaltlich und didaktisch, um die Kenntnisse zu Wirtschaft, Finanzen und Geld zu verbessern. Deshalb ist der im neuen Lehrplan für Geografie und wirtschaftliche Bildung vorgeschlagene systemische und sozioökonomische Ansatz zentral, um kompetent mit aktuellen Herausforderungen umgehen zu können. Kein Zugang kann nämlich für sich beanspruchen, Wirtschaft in allen Dimensionen abzubilden.

Die zahllosen Fehlprognosen und Fehleinschätzungen der vergangenen Jahre gerade auch durch (Sozio-)Ökonominnen und Ökonomen haben uns vorsichtiger und bescheidener werden lassen. Der Kern zukunftsfähiger Wirtschaftsbildung besteht deshalb darin, die Vor- und Nachteile einzelner Zugänge zu kennen und bewerten zu können. Das gilt gleichermaßen für Wissen zu Geld und Finanzen, für Versorgungssysteme und für menschliche Entwicklung innerhalb biophysischer Grenzen.