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Zukunftsfähigkeit in Gefahr

Von Helfried Bauer und Elisabeth Dearing

Gastkommentare

Ein Appell gegen strategische Untersteuerung durch Regierungen in Bezug auf Sozial- und Klimapolitik.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Strategische Untersteuerung ist im öffentlichen Sektor verbreitet. Dies bedeutet, dass die Regierungen von Bund, Ländern oder Städten bei Bedrohungen oder Krisen zwar Ziele und Maßnahmen erwägen oder sogar beschließen, jedoch ohne ein grundlegendes, längerfristiges Konzept zur Absicherung gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen oder zur Kursänderung zu verfolgen. Dabei gilt es, an Ursachen von Bedrohungen anzusetzen und die wechselseitigen Abhängigkeiten von sozialen, ökonomischen und ökologischen Faktoren zu berücksichtigen.

Diese zeigen sich etwa bei der Klimakrise: Eine kleine Gruppe ("die Reichen") verursacht sie, die negativen Folgen wirken sich auf die große Mehrheit der sozial Schwächeren aus. Der Grund liegt in der Dominanz des neoliberalen Dogmas, das Wachstum und Gewinnorientierung forciert und staatliche Steuerung für mehr soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zurückdrängt. Das erschwert etwa notwendige öffentliche Investitionen zur Dekarbonisierung, ebenso behindern ungenügende Besteuerung der Vermögenden sowie mangelnde Bewusstseinsbildung und Bildungsmaßnahmen bei großen Bevölkerungsgruppen (etwa jene mit dem Leitbild "Eigenheim, Garten, Auto") die anstehenden Transformationen zu mehr Natur- und Klimaschutz sowie zu weniger Individualverkehr und Konsum.

Zur Abwehr wechselseitiger Abhängigkeiten braucht es eine umfassend angelegte öffentliche Steuerung aller Akteure, einen "Whole of Government"-Ansatz als Gesamtsicht von Politik, Verwaltung und Gesellschaft, mit dem die vielfach notwendigen Aktivitäten abgestimmt und laufend die Fortschritte in Richtung Zielerreichung evaluiert und veröffentlicht werden können. Ein solcher Ansatz könnte etwa eine verfassungsgesetzliche Verankerung von Nachhaltigkeit über bloße Staatszielbestimmungen hinaus, nämlich auch die empirische Fundierung für abgestimmtes Handeln aller öffentlichen Akteure (Datenverfügbarkeit, Ausgleich von Zielkonflikten) sowie zur ausreichenden Finanzierung des Strukturwandels regeln.

Der Sozialstaat braucht eine einheitliche Absicherung für alle gegen Armut, ähnlich wie eine einheitliche Schulpflicht. Es geht um die Menschenwürde und bildet ein Grundrecht, das nicht durch populistische Gehässigkeiten eingeschränkt werden kann. Auch der Klimaschutz braucht eine klare Vorgabe. Während das neue EU-Klimagesetz (2021) das europäische Emissionsreduktionsziel bis 2030 von 40 Prozent auf mindestens 55 Prozent gegenüber den Werten von 1990 erhöht hat, fehlt in Österreich ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Zielwerten. Österreich ist gegenüber der EU säumig; diverse Klimaschutzmaßnahmen bleiben Stückwerk mit verhältnismäßig geringer Wirkung.

Gesetzliche Ziele als Handlungsrahmen

Auch der Bodenverbrauch gehört reguliert. Dieser ist mit derzeit 11,5 Hektar pro Tag übermäßig hoch. Das Regierungsprogramm des Bundes hat als Zielwert für den Verbrauch 2,5 Hektar pro Tag festgelegt. Allerdings bindet dieses Ziel nicht die für Raumordnung zuständigen regionalen Akteure. Diese Beispiele machen einerseits deutlich, dass in einem Rechtsstaat gesetzliche Ziele als Handlungsrahmen für Gesellschaft und Wirtschaft notwendig sind. Andererseits sind Ziele einer Bundesregierung allein zu wenig, um andere autonome Akteure (Länder, Gemeinden, öffentliche Unternehmen) darauf zu verpflichten. Vielmehr braucht es deren strategischen Konsens über die Finanzierung und andere Durchsetzungsmaßnahmen.

Zusätzlich fehlt es weitgehend an Verknüpfungen zwischen prioritären Aufgaben, dem Finanzbedarf und der Verteilung der öffentlichen Mittel im System der österreichischen Finanzverfassung aus dem Jahr 1948. Steuerungsprinzipien betreffend Finanzierung der Aufgaben wie Ergebnisverantwortlichkeit bei gemeinsamer Aufgabenerfüllung und Abgeltungen externer Effekte zwischen Gebietskörperschaften werden von Expertenseite zwar gefordert, genießen aber kaum Interesse der Finanzpolitik. Selbst das Potenzial der seit 2013 verfassungsmäßig festgelegten Wirkungsorientierung der Bundesausgaben wird nicht ausreichend genutzt.

Lösungsansätze zeigt hier die "Initiative Bessere Verwaltung" (www.bessereverwaltung.at) auf. So wird wenigstens für die Bundesebene vorgeschlagen, im Fall mehrerer betroffener Ministerien ressortübergreifende Ziele und Indikatoren gemeinsam festzulegen. Eine strategische Koordinationsstelle im Bundeskanzleramt sollte die Entwicklungsprozesse unterstützen. Wirkungsorientierung kann jedoch nicht auf die Bundesebene beschränkt sein; vielmehr muss sie auch für Länder und Gemeinden sowie Versorgungsbetriebe gelten.

Steuerungsdefizite zeigen sich auch im Bereich der Energiepreise, die von staatlichen Versorgern unter Berufung auf die stark von markwirtschaftlichen Grundsätzen geprägte Merit-Order festgelegt werden. Diese wird in der EU weder politisch hinterfragt, noch greift man - abgesehen von Spanien und Portugal, wo dieses Prinzip durch politische Entscheidung außer Kraft gesetzt wurde - zu Gunsten der Bevölkerung steuernd ein. Da die überwiegende Zahl der Energieanbieter in Europa im Mehrheitseigentum der öffentlichen Hand ist, wäre eine solche strategische Maßnahme dringend anzustreben.

Soziale und ökologische Umstrukturierung

Während der Einsatz neuer Technologien für Energieversorgung und Güterproduktion schon anerkannt beziehungsweise in Umsetzung ist, bleiben die zur Disposition stehenden Änderungen im Bereich der öffentlichen Aufgabenerfüllung hierzulande vielfach offen. So fehlen klare Prioritäten im Bereich der öffentlichen Planung (etwa Stadt- und Verkehrsplanung), der Infrastruktur sowie auch des Verwaltungshandelns. Soll etwa glaubhaft an der Umsetzung des EU-Klimagesetzes 2021 gearbeitet werden, heißt das doch für die öffentliche Hand in Österreich, eine Vorreiterrolle einzunehmen und innerhalb eines gewissen Zeitraums ihre Gebäude (die es brauchen) thermisch zu sanieren und die Energieversorgung auf erneuerbare Quellen umzustellen.

Zudem gilt es, öffentliche Planungs- und Dienstleistungsprozesse kritisch zu betrachten, zu vereinfachen, zu ökologisieren, indem etwa mögliche Synergien (beispielsweise durch regionale Arbeitsteilung bei Dienst- und Verwaltungsleistungen) und finanzielle Anreize (etwa für Gemeinden mit geringerem Flächenverbrauch) genutzt werden. Für die große Aufgabe einer Umstrukturierung des öffentlichen Handelns braucht es die gegenseitige Unterstützung der staatlichen Akteure. So erscheint es unproduktiv, wenn die Landesgesetzgeber nicht mehr zeitgemäße Regelungen der Raumplanungsgesetze (etwa für die Flächennutzung) weiter in Geltung lassen, obwohl die Flächenversiegelung als Klimakiller längst bekannt ist.

Problematisch erscheint auch, dass der Bund seit Jahrzehnten methodisch und inhaltlich eine Reform des Finanzausgleichs nicht zustande bringt, wodurch auch den Gemeinden und Ländern mehr Verantwortlichkeit und Effektivität für mehr Kooperation leichter fallen könnten. Eine gemeinsame, demokratisch angelegte ökologische Planung aller drei staatlichen Ebenen und die Einigung auf grundsätzliche Regeln (Wirkungsorientierung, Evaluierungspflicht, mehr Kontrollbefugnisse) im Bereich der Gebarungen erscheinen unumgänglich.