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Fernsehdebatte der fünf Spitzenkandidaten für die EU-Wahl bot kaum Zeit für Auseinandersetzung.
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Brüssel. Einer war neu in der Runde. Diesmal nahm auch der Spitzenkandidat der europäischen Linken an einer Fernsehdebatte mit vier seiner Konkurrenten bei der EU-Wahl teil. Dabei hat es Alexis Tsipras den Organisatoren der aus dem EU-Parlament in Brüssel in gut zwei Dutzend Länder übertragenen Diskussion nicht leicht gemacht. Er soll nämlich als erster darauf bestanden haben, seine Muttersprache zu verwenden. Dann hätten aber Martin Schulz von den Sozialdemokraten sowie die Grüne Ska Keller oder der Konservative Jean-Claude Juncker Deutsch oder Französisch wählen können, und der belgische Liberale Guy Verhofstadt Flämisch. Doch bis auf Juncker entschieden sich die anderen drei für Englisch.
Unterschiede gab es dann in der Debatte genug - wenn diese auch mehr einem Speed-Dating glich. Lediglich eine Minute Zeit hatten die Kandidaten, um Fragen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu beantworten, zur Regulierung der Bankenlandschaft, zur wachsenden EU-Skepsis unter Teilen der Bevölkerung, zur Krise in der Ukraine oder zur Einwanderung.
So drehte sich die Diskussion gleich zu Beginn einmal mehr um den Sparkurs, den etliche Staaten in den vergangenen Jahren einschlagen mussten. Während Schulz darauf hinwies, dass der Kampf gegen die Steuerziehung vernachlässigt wurde, Keller Investitionen statt Sparprogramme forderte und Tsipras zu einem Ende der "Schuldenparanoia" aufrief, fand sich Juncker, Luxemburgs Ex-Premier und viele Jahre lang Vorsitzender der Eurogruppe, in der Defensive wieder. Die Anhäufung neuer Schulden könne keine Lösung sein, meinte er. Im Beharren auf Haushaltsdisziplin erhielt er zwar Zustimmung von Verhofstadt, doch wünschte sich dieser gleichzeitig "eine neue Strategie für das Wirtschaftswachstum". Alte Rezepte würden nicht mehr wirken.
So gut wie einig waren sich hingegen alle darin, dass es eine koordinierte Migrationspolitik brauche. Legale Möglichkeiten der Einwanderung müssten geschaffen werden - nicht zuletzt um Menschen von einer illegalen Einreise abzubringen, die für so manchen tödlich endet.
Rückhalt im Parlament nötig
Realistische Chancen auf den Posten des Präsidenten der EU-Kommission haben freilich nur zwei Kandidaten: Juncker und Schulz. In Umfragen liefern sich die Christ- und die Sozialdemokraten ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wobei die Konservativen derzeit einen leichten Vorsprung haben. Doch auch wenn sie bei der Wahl in gut einer Woche die meisten Stimmen erhalten, werden sie auf die Unterstützung anderer Parteien im EU-Parlament angewiesen sein. Und dabei können - abgesehen von den Sozialdemokraten - sowohl die Liberalen als auch die Grünen ausschlaggebend sein. Beide Fraktionen haben schon angekündigt, sich zunächst einmal das programmatische Angebot des Wahlsiegers anzuschauen. Doch haben beide auf der anderen Seite an die Mitgliedstaaten bereits die Mahnung abgegeben, die Bewerber des Parlaments ernst zu nehmen. Einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten, den sich die Länder - wie bisher üblich - untereinander ausmachen würden, wollen sie nicht so einfach akzeptieren.