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"Zukunftsprogramm" mit traditionellen Rezepten

Von Alexander Dworzak

Politik

Die in Umfragen führende SPD will den Mindestlohn drastisch anheben und hohe Einkommen stärker besteuern.


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"Ich will da rein", soll Gerhard Schröder in den 1980ern gerufen und dabei am Gitter der Bonner Regierungszentrale gerüttelt haben. Einige Jahre musste er sich gedulden, 1998 eroberte er für die SPD das dann schon in Berlin befindliche Kanzleramt und amtierte bis 2005. Nun betitelt die ARD eine Dokumentation mit: "Die wollen da rein". An Zäunen zu rütteln käme Spitzenkandidat Olaf Scholz nie in den Sinn. Er spricht in dem Film von "Demut".

Unter dem amtierenden Finanzminister liegt die SPD einen Monat vor der Bundestagswahl erstmals in Umfragen in Führung. Mit 23 Prozent rangiert sie einen Prozentpunkt vor der konservativen Union, die Grünen halten bei 18 Prozent.

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Der knochentrockene Scholz punktet mit seiner Solidität, während sich CDU-Chef Armin Laschet und Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock in den vergangenen Monaten einen Fehler nach dem anderen geleistet haben. Könnten die Deutschen ihren Kanzler direkt wählen, Scholz würde haushoch gewinnen. Doch abseits der unerwarteten Strahlkraft des 63-Jährigen, welche Pläne hat die SPD für die kommenden Jahre?

400 Milliarden Euro neue Schulden

"Zukunftsprogramm" nennen die Genossen ihr Wahlprogramm. Auf 66 Seiten fällt auch mehr als 100 mal das Wort Zukunft. Wie diese konkret ausgestaltet ist, bleibt hingegen oft vage. Etwa, wo genau jene 50 Milliarden Euro jährlich für Zukunftsfelder investiert werden sollen. Dabei hat die Corona-Krise den deutschen Staatsfinanzen arg zugesetzt: 270 Milliarden Euro an Schulden hat der Bund aufgenommen. Scholz rechnet damit, dass es bis Ende kommenden Jahres mehr als 400 Milliarden Euro sein werden. Der Finanzminister möchte die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse - die Nettokreditaufnahme des Bundes pro Jahr wird damit auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzt - ab 2023 wieder einhalten.

Um die milliardengroßen Löcher zumindest teilweise zu stopfen, will die SPD große Vermögen mit einem Prozent besteuern - nennt jedoch keinen konkreten Schwellwert.

Spitzenverdiener müssen sich auf höhere Steuern gefasst machen. Die SPD will die "oberen fünf Prozent stärker für die Finanzierung der wichtigen öffentlichen Aufgaben" heranziehen und eine Einkommenssteuerreform, "die kleinere und mittlere Einkommen besserstellt". So soll ein Paar mit zwei Kindern, das über ein Bruttoeinkommen von 40.000 Euro verfügt, um 4.000 Euro entlastet werden. In derselben Konstellation, aber deutlich besser verdienend, mit 120.000 Euro, bliebe noch ein Plus von knapp 1.100 Euro. Liegt das Bruttoeinkommen jedoch bei 300.000 Euro, muss die Familie mit Einbußen in Höhe von 12.800 Euro rechnen.

Die Steuerpläne der SPD würden 14 Milliarden Euro mehr als bisher in die Staatskasse spülen. Für CDU-Chef Laschet sind Steuererhöhungen "tabu", so auch für die FDP. Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung errechnete, dass die konservativen Pläne 32 Milliarden Euro weniger an Fiskaleffekten ergeben würden, bei der FDP wären es sogar minus 88 Milliarden Euro.

Mit ihrer Finanz- und Haushaltspolitik will die SPD "die großen Zukunftsinvestitionen finanzieren und so zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen". So soll die Wirtschaft zur "Kreislaufwirtschaft" umgebaut und ein "Rohstoffsicherungskonzept" erarbeitet werden. Auch hierzu fehlen jedoch Details. Bis spätestens 2040 soll Strom vollständig aus erneuerbaren Energien kommen. Gar bis zum nächsten Jahrzehnt wollen die Sozialdemokraten Deutschland zum Leitmarkt für Wasserstofftechnologien machen. Apropos Verkehr: Die "freie Fahrt für freie Bürger" auf Autobahnen soll der Vergangenheit angehören, Tempolimit 130 km/h gelten. Und höhere CO2-Preise sollen Menschen mit geringem Einkommen jedoch nicht treffen, für sie sind Ausgleichszahlungen vorgesehen.

Nicht fehlen darf heutzutage in einem Wahlprogramm das Schlagwort Digitalisierung, erst recht nicht nach den Erfahrungen der Pandemie. Nicht nur soll der öffentliche Gesundheitsdienst ausgebaut werden, bis zum Jahr 2030 gelte es auch, alle Schüler mit Laptop oder Tablet auszurüsten. Die SPD garantiert bis dahin auch ein Gigabyte pro Sekunde schnelles Internet für alle Haushalte und Unternehmen.

Streit vorerst vergessen

Deutlich steigen soll der Mindestlohn. Derzeit bei 9,50 Euro pro Stunde, sollen es künftig 12 Euro sein. Bereits Anfang 2020 deponierte Parteichefin Saskia Esken diese Forderung, die als Juniorpartner in der Regierung mit der Union nicht umsetzbar war. Schafft die SPD tatsächlich Platz eins, wäre der Spielraum ein ganz anderer. Auch weil der potenzielle grüne Koalitionspartner ebenfalls für einen wesentlich höheren Mindestlohn eintritt. Bremser bei diesem Vorhaben wäre dann die FDP, sollte es zu der von Scholz bevorzugten Ampelkoalition kommen. Selbiges gilt auch für die roten Steuerpläne.

Das Verhandlungsgeschick und die Überredungskunst von Scholz wären aber nicht nur gegenüber den potenziellen Partnern gefordert. Hatte sich doch die SPD über Jahre in parteiinternen Richtungsstreitigkeiten verzettelt. Die Aussicht auf einen Wahlsieg rückt aber frühere Verletzungen in den Hintergrund. Am Freitag steht Olaf Scholz gemeinsam mit Kevin Kühnert in Berlin auf der Bühne - jenem Ex-Chef der Jungsozialisten, der erfolgreich gegen Scholz’ Kandidatur als Parteichef vor zwei Jahren mobilisierte. Nun heißt es aber: "Die wollen da rein."