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Zuletzt kommt das bange Warten

Von Nora Bruckmüller

Wissen

Eingangstest Medizin: 5859 Studenten wollen Ärzte werden. | Trotz schlechter Ergebnisse in den Vorjahren: Frauen unbeeindruckt. | Der Wunsch, Arzt zu sein, als Lebensziel. | Wien. Um 10 Uhr Vormittag war der Platz vor der Wiener Messehalle am Freitag wie ausgestorben. Der Wind fegte wie im klassischen Western über die Straßen hinweg, vereinzelt hörte man ein paar Vögel krächzen. Ansonsten nichts. Tatsächlich hatten alle Studienbewerber in Halle A Platz gefunden. Alle 2876 Bewerber, die sich tatsächlich Freitag dem Eignungstest für das Medizinstudium (EMS) an der Medizin-Uni Wien gestellt haben. Eine neuer Rekord: Für sie gibt es aber in Wien nur 740 Plätze, österreichweit 1500. Seit 2005 wird der Test simultan in Graz und Innsbruck durchgeführt.


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Fliegen, Schnarchen, Bangen

Drei Stunden war der Platz vor dem großen Bewerber-Ansturm karg beseelt, hinzukamen jedoch nicht nur einige Studienanwerber, die sehr bald dran waren, sondern auch spürbare Nervosität. "Ich muss mich jetzt auf meine Vorbereitung konzentrieren." Eine junge Frau sammelt sich für den Test, dafür muss sie noch drei Stunden ausharren.

Auf sie und ihre Mitstreiter warten dann 198 einzelne Fragestellungen, zusammengefasst in zehn nacheinander abfolgenden, genau festgelegten Untertests. Diesen wollen sich alle stellen. Doch die meisten ziehen sich aber noch ins Grün zurück, in den Park neben der Halle. Dort scheint es deutschen Studienbewerber gut zu gefallen - wie dem 20-jährigen Berliner Jan Würfel. Auf ihn, der seit der 9. Klasse Arzt werden will, wartet ein harter Wettkampf. Er muss zusammen mit rund 1300 anderen EU-Bürgern um 20 Prozent der Plätze streiten.

Den Ansturm deutscher "Nummers Clausus-Flüchtlinge" an heimischen Unis, der auch zu dieser Quotenregelung beitrug, kennt Jan nur aus dem Radio. Für die Teilnahme am Test hat er schon einiges auf sich genommen: Einen Flug aus Berlin, eine Nacht in einer Jugendherberge mit einem schnarchenden Japaner. Fit ist er trotzdem. Die nächste Strapaze heißt Warten, später Anstellen.

Selbstbewusste Mädchen

Das trifft auch auf die 20-jährige Lara aus Bayern zu. Der Wind bläst ihr ins Gesicht, sie genehmigt sich seelenruhig einen Snack. Wien hat Lara als Studienort schon früher gefallen, auch ihrer besten Freundin. Obwohl die jetzt Zweifel am Sprung ins Nachbarland hat, bleibt Lara dabei: "Ich will einfach nur Medizin studieren, weil es das Interessanteste ist, was ich im Leben machen kann." Auch Sophie Prandl aus Baden weiß genau, dass sie Ärztin werden will - und das seit ihrem 11. Lebensjahr. Jetzt ist sie 17. Vom österreichischen Phänomen, dass Mädchen beim Test bis jetzt schlechter abgeschnitten haben als Burschen, zeigt sie sich, anders als ihre Tiroler Kolleginnen, unbeeindruckt. Den "Gender-Gap" hält sie aber für wahrscheinlich. "Mädchen sind meiner Erfahrung nach einfach schlechter in Mathematik."

Ein Studienbewerber, der mit 40 noch einmal umsatteln möchte, sieht das anders. "Frauen denken genauso vernetzt wie wir Männer." Kurz vor Einlass um acht Uhr sticht er aus der riesigen Traube von jungen Gesichtern, wie man sie sonst vor einem Rockkonzert sieht, definitiv heraus. Der Notfallsanitäter aus Oberösterreich arbeitet seit 20 Jahren im Rettungsdienst. Vorteile verspricht er sich davon keine. "Ich habe keine Übung mehr mit Tests", lacht er. Beim EMS versucht er an seinen Jugendtraum, Arzt zu sein, anzuknüpfen. Kaum beginnt der Einlass, springt er auf. Und mit ihm der Rest.

Warten als Grenzerfahrung

Das Ziel, die 16.000 Quadratmeter große Prüfungshalle, ist aber noch nicht näher gerückt. Zuvor müssen 3000 Studienbewerber ihre Habseligkeiten bis auf Nervennahrungen und Stifte in der Garderobe verstauen. Eine sonore Männerstimme ermahnt per Lautsprecher, "schwere Taschen, Handys und technische Geräte zuerst" abzugeben. An ein Durchkommen bei den Sicherheitsschleusen wäre anders gar nicht zu denken.

Bei fast 3000 Prüflingen ist Stau vorprogrammiert. "Das ist ja grenzwertig", raunt einer. "Alles andere ist fertig, nur die Organisation nicht." Vorm wahren Einsatz gähnen die meisten schon wieder. Schlussendlich kommen doch alle ans Ziel - in einen Saal, der rund 4000 Menschen fasst. In dem der Testleiter ein Fahrrad braucht, um schnell von A nach B zu kommen. Wer den Raum gegen 10 Uhr verlässt, sieht draußen nichts mehr von dem Menschenmassen. Der Wind geht, drinnen schwitzen sie. Bis spätestens 17 Uhr. Dann ist Warten angesagt: Die Ergebnisse in Wien kommen erst im August.