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Zum Fasten-Urlaub nach Frankreich

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Europaarchiv

Der Markt für islamisch-korrekte Halal-Produkte wächst mit enormem Tempo. | Identitätsstiftung: Junge Moslems fasten wieder öfter. | Paris. "Den Ramadan da unten verbringen? Um keinen Preis!" - Hayet hat in diesem Jahr den Urlaub in Marokko, wo ihre Familie lebt, verkürzt. Pünktlich zum Beginn des islamischen Fastenmonats am 11. August ist sie in ihre zweite Heimat Frankreich zurückgekommen. | Muslime in Frankreich


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Bei den heißen Temperaturen in Nordafrika sei es unerträglich, tagsüber nichts zu essen und zu trinken, sagt die junge Frau. Die Arbeit lenke sie zudem von Hunger und Durst ab.

Viele fromme Muslime tun es ihr gleich: Die Fluglinien verzeichnen eine für diese Zeit ungewohnt hohe Nachfrage aus dem Maghreb nach Frankreich. Fünf bis sechs Millionen Muslime, mehr als in jedem anderen europäischen Land, leben hier. Weil der Ramadan heuer in den Hochsommer fällt, holen manche ihre Familie aus der Hitze nach Frankreich.

Denn Ramadan ist auch ein Familienfest, das sich beileibe nicht nur auf das Fasten beschränkt. Nach Sonnenuntergang versammelt man sich gemeinsam zum Fastenbrechen, das oft üppig ausfällt mit Datteln und Oliven, fettigen Speisen und süßem Gebäck. Die traditionelle Zusammenkunft bleibt nicht auf die älteren Gläubigen beschränkt. Im Gegenteil: Der religiöse Ritus erlebt gerade bei jüngeren Generationen, die oft in Frankreich geboren sind, einen Boom. 70 Prozent auch der jungen Muslime fasten in Frankreich, zehn Prozent mehr als vor 20 Jahren.

Die scharfen Töne, die die aktuelle Regierung gegen Einwanderer und bisweilen auch den Islam anschlägt, bestärken die jungen Menschen laut der Meinung vieler Experten dabei. So nennt der Vorsitzende des Muslimrats, Mohammed Moussaoui, die Rückkehr zur Spiritualität ein "in Krisenzeiten bekanntes Phänomen". Der Religionswissenschaftler Franck Fregosi sieht weniger eine religiöse Motivation dahinter, sondern die Bekräftigung ihrer Identität.

Halal übertrifft Bio

Obwohl seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland, bleibt das laizistische Frankreich, das Religion und Staat strikt trennt, aber unsicher ist im Umgang mit dem Islam, seiner zweitgrößten Religion. Ausdruck für unterschwelliges Misstrauen sind die aufgeregt geführte Diskussion um ein Verbot des Ganzkörperschleiers und die verkorkste Debatte über die "nationale Identität", die die Regierung vor einigen Monaten verordnete.

Ein Testlauf der Fastfood-Kette Quick, die in acht Restaurants keine Schweinefleisch mehr anbot, führte zum Aufstand einiger Politiker, die mit Klagen drohten. Da der Versuch aber sehr erfolgreich war, will Quick das Angebot auf 14 weitere Geschäfte ausweiten.

Denn während sich die französische Gesellschaft mit der Einbeziehung der Muslime noch schwer tut, hat die Wirtschaft ein riesiges Potenzial für den Verkauf von Halal-Fleisch, das nach islamischen Regeln hergestellt wird, erkannt.

"Wir können nicht sieben Prozent der Kunden außer Acht lassen", sagt Stéphane Renaud von der Supermarkt-Kette Auchan pragmatisch. Der Halal-Markt wächst jährlich um 15 Prozent, sein Jahresumsatz in Frankreich wird für 2010 auf 5,5 Milliarden Euro geschätzt - das übertrifft den ebenfalls erstarkenden Bio-Sektor bei weitem.

Längst bietet nicht mehr nur der kleine Fleischer am Eck Halal-Fleisch an. Auch die Supermärkte haben sich spezialisiert. Im Ramadan läuft das Geschäft besonders gut. Beispielsweise macht die Firma Sectal, die Supermärkte mit Backwaren beliefert, dann 30 Prozent ihres Jahresumsatzes.

"Der Halal-Markt ist die wirtschaftliche Übersetzung einer soziologischen Realität", sagt Fateh Kimouche, Gründer eines Internet-Portals für muslimische Verbraucher. Die jetzige Zielgruppe seien junge, in Frankreich geborene Muslime, die im Berufsleben stehen und deren Kaufkraft steigt. Dass manche Supermärkte Halal als orientalische Spezialitäten bewerben, ärgert ihn. "Wir sind nicht Aladins Nachkommen", sagt Kimouche, "wir wollen nicht Teppiche kaufen, sondern Wurst, Carpaccio oder Halal-Raclette."