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Zum Feiern ist nicht allen zumute

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Der Einladung folgen nicht alle. Wenn der russische Präsident Wladimir Putin am Montag zu den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Kapitulation Hitler-Deutschlands nach Moskau bittet, wollen die Staatschefs Litauens und Estlands nicht dabei sein. Dass US-Präsident George W. Bush seine Europa-Reise heute gerade in einem baltischen Staat beginnt, kann ihnen nur recht sein: Ihren Kurs sehen sie bestätigt.


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Was den einen als Befreiung galt, war für die anderen Besetzung. Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete für die baltischen Republiken Eingliederung in die UdSSR. Der Auslöschung jüdischer Gemeinden unter deutscher Okkupation folgten in der Sowjetzeit Massendeportationen nach Sibirien. Allein in Litauen wurden zwischen 1945 und 1953 an die 200.000 Menschen in Lager geschickt.

Die Debatten um unterschiedliche Geschichtsauffassung belasten die Beziehungen der baltischen Staaten mit Russland bis heute. Und auch mit dem EU-Beitritt Lettlands, Estlands und Litauens vor einem Jahr hat sich die Situation kaum gebessert. Zu sehr sei die Europäische Union darum bemüht, Moskau nicht mit Forderungen nach Menschenrechten oder der Anerkennung von Grenzen zu verärgern, lautete ein Vorwurf aus Riga oder Tallinn. Erst vor wenigen Tagen erhielt Estland die russische Einladung, am 18. Mai einen Grenzvertrag zu unterzeichnen.

Dennoch bleibt der estnische Präsident Arnold Rüütel ebenso wie sein litauischer Amtskollege Valdas Adamkus zu Hause, wenn Wladimir Putin in Moskau mit 50 Staats- und Regierungschefs den Sieg über Hitler feiert. Nur die lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga nimmt an dem Treffen teil. Gleichzeitig erinnerte sie in einem offenen Brief daran, dass für ihr Land das Ende der deutschen Besetzung den Anfang der sowjetischen Okkupation bedeutete.

Ähnlich formulierte es US-Präsident George W. Bush im Vorfeld seiner Europa-Reise, die heute in der lettischen Hauptstadt beginnt und am Dienstag in Georgien endet. Er verstehe, wie schwierig die Entscheidung Vike-Freibergas zur Teilnahme an den Feiern in Moskau war, sehe aber auch die Gründe Rüütels und Adamkus ein, schrieb Bush. Als Affront gegen Russland möchte Bush seinen Besuch in Riga und Tiflis aber keinesfalls sehen.

Auch in Polen ist die Debatte um die Reise von Staatspräsident Aleksander Kwasniewski - der nach Moskau gemeinsam mit General Wojciech Jaruzelski eingeladen wurde, der 1981 in Polen die Verhängung des Kriegsrechts verkündet hat - neu entbrannt. Die von Russland auferlegte Geschichtsschreibung dürfe nicht akzeptiert werden, argumentiert die Opposition. Als Beispiel führt sie etwa das Massaker von Katyn an: Dort wurden im Jahr 1940 21.768 Offiziere, Intellektuelle und Priester ermordet - was Moskau lange Jahre als SS-Verbrechen dargestellt hat und bis heute nicht als Völkermord anerkennen will.

Doch am Montag gelte es allen Opfern des Zweiten Weltkrieges die Ehre zu erweisen, hielt dem Kwasniewski entgegen. Außerdem würde die Abwesenheit des polnischen Präsidenten die "ungerechtfertigte Annahme" in der Welt bestätigen, dass Polen russlandfeindlich sei, erklärte er gegenüber der Tageszeitung " Gazeta Wyborcza ".

Die EU-Kommission wiederum hielt sich mit Bewertungen bisher zurück. Umso überraschender kam für die neuen EU-Staaten eine Aussage von Kommissar Günter Verheugen, der vor wenigen Tagen ebenfalls von der sowjetischen Okkupation der baltischen Staaten sprach. Für die EU sei es wichtig, dass die Beziehungen zu Russland auf Wahrheit beruhen, meinte Verheugen. Diplomaten zufolge, dürfte diese Erklärung Präsident Wladimir Putin ebenso verärgert haben wie Bushs Reisepläne.