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Ein Rucksack, zwei Wanderschuhe und ein steiniges Pflaster. Ein einsamer Kampf gegen die Erschöpfung auf dem Weg nach Santiago de Compostela, die mit Besinnung und Gebet überwunden wird. Das war einmal - heute kann der "Jakobsweg pauschal all inclusive" gebucht werden, bei dem die meisten die ersten Etappen salopp überspringen und sich erst im letzten Stück unter die Pilger mischen. Und davon gibt es wahrlich viele, wie die gelungene Sendung "Die Reportage" ohne Beschönigung im NDR zeigte.
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Denn spätestens seit sich der Entertainer Hape Kerkeling mit einer Jakobsmuschel auf dem Rücken auf Wanderschaft begab oder der Schriftsteller Paulo Coelho seinen Jakobsweg in Buchform presste, ist die Pilgerreise zum erschreckenden Massenphänomen mutiert.
Unzählige tummeln sich in den am Weg gelegenen Kirchen und haben nicht nur Beten im Sinn. Vielmehr sind es die Stempel, die sie sich zweimal pro Tag in ihren Pilgerpass drücken lassen. Denn nur wer am Ziel alle Stempel hat, darf sich urkundlich Pilger nennen: Auch die erlösungstheologischen Lehren scheinen vor der Bürokratie also nicht gefeit zu sein. Ebenso wenig von moderner Marktwirtschaft. Sprießen doch entlang des Weges Hotels wie Schwammerl aus dem Boden. Nur einige wenige schlagen ihre Zelte im Freien auf - die "Jakobsweg pauschal"-Bucher bekommen die Koffer ins Hotel geliefert. Dass sich kurz vor Santiago, wo sich der Trupp immer humpelnder vorwärts schleppt, die Massagepraxen häufen, mutet ebenfalls seltsam an. Nur gut, dass die Kathedrale am Ende des Weges so riesenhaft ist, dass sie sämtliche Wanderer schluckt. Und die Streber unter ihnen, die auch wirklich keinen Stempel vergessen haben, dürfen sich fortan sogar Pilger nennen.