Die Vielfalt der Religion ist sichtbarer geworden - auch bei der WM in Katar.
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Die Religion ist zurück. Was in den vergangenen Jahren weltweit als gesellschaftliches Phänomen zu beobachten war und ist, hat auch den Sport erfasst. Für den Fußball, wo sich bekreuzigende Spieler immer schon zum Alltag gehört haben, gilt das besonders. Diesen Eindruck vermittelt nicht zuletzt die Weltmeisterschaft in Katar, einem tief konservativen Land, dessen Rechtsprechung von der Scharia abgeleitet wird und wo Peitschenhiebe noch Teil des Strafgesetzbuches sind. Kaum bei einer WM wurde derart kritisch und offen über Glaubensfragen - und in diese Kategorie ist in den Augen der Katarer wohl auch die anhaltende "One Love"-Debatte einzuordnen - diskutiert wie in dem Land am persischen Golf.
Dabei ist Katar keineswegs der religiöse Monolith, für den er auf den ersten Blick gehalten wird. Nur 65 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, die meisten davon Arbeitsmigranten. Ausländischer Herkunft sind freilich auch die 16 Prozent Hindus sowie 13 Prozent Christen, die großteils aus Indien und den Philippinen stammen. Der buddhistischen Konfession gehören immerhin drei Prozent an. Die Ausübung ihrer Religion ist den Menschen gestattet, wenn auch nur unter strengen Bedingungen. Mission ist verboten, ebenso das öffentliche Tragen eines Kreuzes oder religiöser Kleidung. Es gibt aber auch Fortschritte. 2006 genehmigte Katar den Bau der ersten katholischen Kirche im Land. 2.700 Gläubige finden in dem Komplex südlich von Doha Platz, das Grundstück wurde vom Emir zur Verfügung gestellt.
Angesichts des doch sehr hohen Stellenwerts, den der Glaube allgemein in Katar besitzt und in den Debatten aufgegriffen wird, passt die offene Art und Weise, wie Religion auch bei dieser WM auf dem Rasen zelebriert wird, ganz gut ins Bild. Als treffendes Beispiel dient der Torjubel der Ecuadorianer im Eröffnungsspiel gegen Katar, als sich die Spieler nach dem 1:0 durch Enner Valencia im Kreis auf den Rasen knieten und Gott mit erhobenen Händen und Köpfen innig dankten. Oder man nehme die nicht weniger deutliche Geste, die Marokkos Team nach den beiden Treffern im jüngsten Spiel gegen Belgien gezeigt hatte. Wie das beim Freitagsgebet üblich ist, beugten also Romain Saiss und Co. die Knie und pressten ihre Gesichter auf den Boden, um so Allah (und der gesamten Welt) ihre Dankbarkeit für diesen Sieg zu bezeugen.
Dezenter gehen es wiederum die Japaner an. Anstatt selbst Gott anzurufen, lassen sie ihre Fans in der Heimat für den Erfolg beten. Seit Nippon Deutschland 2:1 besiegte, soll sich die Anzahl der Besucher beim Shinto-Schrein der Nationalmannschaft in Toyama mehr als verdoppelt haben. In dem Heiligtum wird die Gottheit Yatagarasu verehrt, deren Bild auch das Trikot der japanischen Nationalelf ziert. Nun wird dort für einen Sieg im Spiel gegen Spanien am Donnerstag und den Einzug ins Achtelfinale gebetet.
Wenn diese Beispiele eines zeigen, so dies, dass die Vielfalt der Religion, wenn vielleicht nicht unbedingt bedeutender, so doch sichtbarer geworden ist. Und das muss bei einer multikulturellen Großveranstaltung wie einer WM nicht schlecht sein - schon gar nicht in Katar. Immerhin werden die Scheichs hier mit Haltungen und Symbolen konfrontiert, die in ihrer Gesellschaft verpönt sind. Es wird ihnen nicht schaden.