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Zum Vorschlag einer EU-Pioniergruppe

Von Manfred Scheich

Gastkommentare

Hoffentlich sind die ablehnenden Kommentare zum Vorschlag des französischen Präsidenten Jacques Chirac zur Bildung einer EU-"Pioniergruppe" (mit dem Ziel, die Integration vorwärts zu bringen) nicht ein weiteres Beispiel der in der Union so oft üblichen Verdrängung. Die Motivation Chiracs und seine Vorstellung über die konkrete Ausformung soll hier nicht hinterfragt werden. Doch fordern geänderte politische Parameter neue Antworten.


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Die EU-Erweiterungen, besonders die jüngste Osterweiterung, haben die Natur des politischen Wesens EU verändert. Die innere Heterogenität ist größer, das Spektrum widersprüchlicher Interessen breiter, die Fliehkräfte sind stärker, die Konsensbildung ist schwieriger geworden. Dies hat Folgen für die Ausformung des Integrationsprozesses. Doch immer noch wird die Maxime der "Einheitlichkeit" beschworen, auch wenn die Wirklichkeit schon in der EU der 12 und der 15 darüber hinweggegangen ist siehe Schengen und den Euro. Abweichungen gelten aber als bedauerliche Ausnahmen, wenn nicht gar als Sünden wider den Geist der Integration.

Die im Amsterdamer Vertrag bereits mit Blick auf die kommende Osterweiterung tastend eröffnete Möglichkeit "verstärkter Zusammenarbeit" von Gruppen von Mitgliedstaaten ist wenig operabel. Die langsam auf 30 Mitglieder anwachsende EU kann das Prinzip der Einheitlichkeit nicht aufrechterhalten, will sie Dynamik und Handlungsfähigkeit wahren. "Verstärkte Zusammenarbeit", "differenzierte Integration", auch "Pioniergruppen" werden zu Bauelementen der großen Union werden müssen. Sie alle bedeuten den Abschied von dem Bild eines einheitlichen Integrationsraumes, in dem alle Mitglieder gleichzeitig die gleichen Integrationsschritte setzen. Aus der "Sünde" von Abweichungen wird eine Tugend werden.

Die führenden politischen Akteure der EU wären gut beraten, rasch grundlegende Überlegungen in diese Richtung in Gang zu setzen und nicht vor den politischen Schwierigkeiten zurückzuschrecken. Wie so oft in der Politik geht es darum, Widersprüche auf einen erträglichen gemeinsamen Nenner zu bringen. Denn die unumgängliche Differenzierung in der Integration wirft die Frage der Mitbestimmung neu auf, sie schürt nicht unberechtigte Ängste vor dem Entstehen von Mitgliedschaften 1. und 2. Klasse, und sie stellt die Aufgabe, die Kohäsion des Ganzen zu sichern.

Trotzdem: Riskanter für die Zukunft der EU wäre es, sich den Herausforderungen der erweiterten Union zu verweigern und "business as usual" zu spielen. Die Folgen müssten die schrittweise Lähmung der Handlungsfähigkeit, institutioneller Wildwuchs und die vielleicht größte Gefahr die Verlagerung der Kooperation einzelner Mitglieder auf Ebenen außerhalb des Gefüges der EU sein.

Manfred Scheich war von 1995 bis 1999 Ständiger Vertreter Österreichs bei der EU in Brüssel und ist seit 2000 Lehrbeauftragter für Europapolitik an der Universität Innsbruck.