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Wien · "Wenn im Wasserhahn kein Wasser ist, haben es die Juden ausgetrunken." Dieses alte russische Sprichwort steht laut Alla Gerber, Präsidentin der Holocaust Foundation Moskau, für den | tief verwurzelten Antisemitismus in Rußland, der in den letzten Jahren immer unverhohlener zum Ausdruck gekommen ist.
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War während der Sowjetzeit der Antisemitismus staatlich verordnet und reglementiert, so betrachteten seit dem Zerfall der UdSSR immer mehr private Organisationen es als ihre Aufgabe, antijüdische
Propaganda zu verbreiten.
Derzeit existieren in Rußland 25 Parteien, verschiedenster Richtungen, die versuchen, mit dem latent vorhandenen Judenhaß Politik zu machen, schilderte Gerber am Montag in einem Vortrag im
Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut in Wien die gegenwärtige Entwicklung in Rußland.
Vor allem die Kommunistische Partei unter Gennadi Sjuganow schüre inzwischen ungeniert den Haß auf die russischen Juden. Die KP sei offen nationalistisch, rassistisch und antisemitisch orientiert, so
Gerber. Die Kommunisten sprechen auch unverblümt aus, "daß Hitler ein paar gute Ideen gehabt hat", zeigt sich die Holocaust-Expertin betroffen. Die gesellschaftlichen Extreme · rechts und links ·
würden sich so beim Antisemitismus wieder treffen. In dieser Entwicklung sieht Gerber eine große Gefahr für die noch junge Demokratie in Rußland. Der schwache Staat trägt durch seinen "passiven
Antisemitismus" · keine Ablehnung oder gar Verurteilung von antijüdischen Äußerungen · zu einer "neuerlichen Vergesellschaftung" des Judenhasses bei.
Auch von der russischen Orthodoxie ist nach Meinung der Präsidentin derzeit keine Hilfe zu erwarten. Die "Schwarze Kirche" sei ebenfalls äußerst judenfeindlich und nationalistisch eingestellt. Viele
Popen stehen der Idee "Rußland für die Russen" sehr nahe. Somit fehle gegenwärtig eine moralische Instanz, die gegen den offenen Antisemitismus auftrete, klagt Gerber.