Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Regierung hat mit ihrem Erstentwurf zu Teilen der Pensionsreform einen richtigen Weg beschritten, und wird dafür kritisiert. Das ist ein ganz normaler Vorgang, wenn man bedenkt, dass
a) der vorliegende Entwurf erst der Beginn parlamentarischen Prozesses ist,
b) das Thema, um das es geht, für die Menschen existenziell wichtig ist, und
c) die vorliegenden Maßnahmen nur einen Teil der ganzen Pensionsreform darstellen.
Wäre dieser Entwurf nicht umstritten, wäre dies nicht ein Zeichen für gute Regierungsarbeit, sondern ein Armutszeugnis für den Parlamentarismus!
In einer parlamentarischen Demokratie ist es zwingend, dass die Regierung aus sich selbst heraus einen "perfekten" Entwurf weder vorlegen soll, wie allenthalben herablassend gefordert wird, noch vorlegen kann, weil sich die anderen Akteure auf der politischen Bühne auf jeden Fall profilieren müssen - und auch Gelegenheit zur Profilierung haben sollen!
Es ist evident und allgemein anerkannt, dass noch Veränderungen des Entwurfs insbesondere im Übergangsrecht, eine sachgerechte Aufwertung alter Beitragszeiten und Begleitmaßnahmen für Frauen mit Familienarbeit gesetzt werden müssen. Aber muss das wirklich alles schon im Erstentwurf erledigt sein, der aus Gründen des Terminfahrplans rasch vorgelegt werden musste?
Ich sehe keine Katastrophe darin, wenn Abgeordnete der Regierungsparteien ihre persönliche Meinung in Abweichung zum Entwurf artikulieren und wenn die Opposition massive Vorbehalte gegen den Entwurf äußert! Das ist doch deren Aufgabe, so wie es Aufgabe der Regierung ist, in einem kantigen Entwurf die Richtung der Diskussion vorzugeben.
Für problematisch würde ich daher auch eine derzeit im Raum stehende "Sozialpartnerlösung" halten. So wichtig die Einbindung der Sozialpartner und die Suche nach Konsens ist: In einer parlamentarischen Demokratie sollte es Anliegen der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaft selbst sein, die gesellschaftspolitisch zentrale Fragen wie die Aus- und Umgestaltung des Pensionssystems selbst auszuhandeln und nicht bloß "durchzuwinken".
Unverantwortlich sind aus meiner Sicht nicht Mängel des Entwurfs, sondern der destruktive Stil, mit dem sich die politischen Akteure wechselseitig und damit das gesamte politische System diskreditieren: Ist es wirklich notwendig, mit Angstparolen zu arbeiten und die Menschen zu verunsichern, Regierungsmitglieder abzukanzeln und Besserwisserei zu betreiben? Muss man wirklich dahingehend artikulieren, warum man gegen die Pensionsreform ist? Vergibt man sich etwas, wenn man bekannt gibt, unter welchen Bedingungen man für die Pensionsreform ist? Nicht "nein, weil ...", sondern "ja, wenn ..." sollte doch der Tenor der Stellungnahmen sein.
Obwohl derzeit eine Streikdrohung und eine Forderung nach Volksabstimmung im Raum stehen, hoffe ich, dass es gelingt, die Diskussion über die Pensionsreform kultiviert und dort, wo sie hingehört - nämlich im Parlament - zu führen. Nur wer sich auf die Sachthemen in positiver Weise konzentriert, leistet den - im Kern ja unbestrittenen - Sachanliegen der Pensionsreform einen guten Dienst.
Dann könnte man sich auch rasch den großen Themen widmen, die noch anstehen: Die Vereinheitlichung der Pensionssysteme, die Schaffung eines Pensionskontos, die volle pensionsrechtliche Anerkennung von Familienarbeit, die Neuregelung der Invaliditätspensionen.
Wolfgang Mazal ist Universitätsprofessor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht