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Zur Flucht gezwungen?

Von WZ-Korrespondent Fabian Kretschmer

Politik

Vor zwei Jahren liefen zwölf Angestellte eines nordkoreanischen Restaurants in China nach Südkorea über. Nun behaupten die Betroffenen, vom südkoreanischen Geheimdienst gekidnappt worden zu sein.


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Seoul. Für die mittlerweile in Haft sitzende Ex-Präsidentin Park Geun-hye war es ein großer Coup in ihrer ansonsten von Skandalen und innenpolitischen Krisen überschatteten Legislaturperiode: Im April 2016 verkündete die konservative Regierung in Seoul, dass 12 Kellnerinnen sowie der Manager eines nordkoreanischen Restaurants aus dem chinesischen Ningbo nach Südkorea geflohen sind. Die Fluchtgeschichte galt als politisch äußerst brisant, schließlich gehören die Angestellten nordkoreanischer Staatsrestaurants im Ausland in aller Regel der Elite des Landes an. Die meisten Medien deuteten die 13 Überläufer als klares Indiz, dass selbst unter den Familienangehörigen hochrangiger Parteikader die Loyalität zu Kim Jong-un schwinden würde.

Mehr als zwei Jahre später nimmt die Geschichte nun eine thrillerartige Wendung: "Es war eine Entführung. Ich weiß das, weil ich sie selber ausgeführt habe", sagt kürzlich der Ex-Restaurantmanager namens Huh Kang-il dem südkoreanischen Fernsehsender JTBC.

Eine der Kellnerinnen, anonym und mit verpixeltem Gesicht, kam ebenfalls in dem Beitrag zu Wort: "Ich möchte nach Hause. Das hier ist nicht das Leben, das ich mir vorgestellt habe." Als Beleg für die Echtheit der Identitäten verweist der TV-Sender auf die angeblichen Reisepässe der Nordkoreanerinnen.

Das Regime in Pjöngjang behauptete bereits im Jahr 2016, dass seine Staatsbürgerinnen gegen ihren Willen ins Ausland gebracht wurden. Auch bei den innerkoreanischen Verhandlungen im Vorfeld des Gipfeltreffens zwischen Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un und Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in hat Nordkorea wiederholt gefordert, die Kellnerinnen wieder in ihre Heimat zu bringen. Für die meisten Beobachter, inklusive der internationalen Presse, wurde dies als unhaltbarer Vorwurf abgetan: Wer würde schon wieder zurück nach Nordkorea wollen?

Tatsächlich gibt es unter den 30.000 im Süden lebenden Nordkoreanern jedoch jedes Jahr rund ein Dutzend freiwilliger Rückkehrer. In vielen Fällen spielen finanzielle Schulden eine Rolle; oder der Wunsch, gegen Lebensende die Heimat noch einmal zu betreten. Viele nordkoreanische Flüchtlinge der älteren Generation haben außerdem Schwierigkeiten, sich in die äußerst kompetitive Gesellschaft Südkoreas zu integrieren. Die Depressions- und Suizidrate ist unter den nordkoreanischen Flüchtlingen besonders hoch. Oftmals hatten sie unrealistische Erwartungen an ihr neues Leben im Süden.

Rückkehrer haben für Nordkorea Propagandawert

Ihnen drohen nicht grundsätzlich, wie oft berichtet, hohe Gefängnisstrafen in Nordkorea. Schließlich bieten sie der dortigen Regierung einen unschätzbaren Propagandawert. In Fernsehvideos werden sie dazu gedrängt, "Reue" zu zeigen und von der "Überlegenheit" des nordkoreanischen Systems zu berichten. Doch auch südlich des 38. Breitengrads, der die zwei Koreas trennt, werden die Flüchtlinge oft für politische Zwecke instrumentalisiert.

Im Fall der zwölf übergelaufenen Kellnerin äußerten vor allem die linksgerichteten südkoreanischen Tageszeitungen leise Zweifel an der offiziellen Sichtweise der Seouler Regierung. Viele Fragen blieben schließlich offen: Wieso wurden Menschenrechtsanwälten der Zugang zu den Nordkoreanerinnen verweigert? Weshalb dauerte die gefährliche Flucht von China über Südostasien nur zwei Tage statt wie üblich mehrere Wochen? Und wieso überhaupt machten die Behörden den Fall umgehend öffentlich, wo doch sonst mit Verweis auf die Sicherheit der Angehörigen in Nordkorea Stillschweigen vereinbart wird?

Vor allem der Zeitpunkt kam vielen Regierungskritikern verdächtig vor: Nur wenige Tage später fanden in Südkorea Parlamentswahlen statt. Die konservative Partei war in internen Streitereien verwickelt, sie brauchte einen Erfolg. In der Vergangenheit hatte sie immer wieder die Nordkorea-Karte ausgespielt, um ihre Kernwähler zu mobilisieren.

Laut den Erzählungen des Restaurantmanagers Huh steckte der südkoreanische Geheimdienst hinter der erzwungenen Flucht. Huh berichtete, dass er im Jahr 2014 als verdeckter Spion für die Südkoreaner anheuerte, nachdem Kim Jong-un im Rahmen einer Säuberungswelle fünf seiner ehemaligen Klassenkameraden hingerichtet hätte. Knapp zwei Jahre später jedoch drohte seine Informantentätigkeit aufzufliegen.

"Bin skeptisch, ob die Vorwürfe wirklich stimmen"

Mithilfe seines Kontaktmanns wollte der Restaurantbesitzer schließlich nach Südkorea fliehen. Dieser jedoch bestand darauf, dass er auch sein Personal mitnimmt. "Er hat mir andernfalls angedroht, mich bei der nordkoreanischen Botschaft zu verraten", behauptet der Ex-Spion. Die zwölf Kellnerinnen hätten bis zur Einfahrt an der südkoreanischen Botschaft im malaysischen Kuala Lumpur gedacht, sie würden lediglich zu einem neuen Restaurant versetzt. Auch der Zeitpunkt sei um einen Monat verschoben worden, damit die Nachricht über die vermeintlichen Überläufer aus Nordkorea der regierenden Partei bei den Wahlen helfe.

"Ich bin skeptisch, ob die Vorwürfe auch wirklich stimmen. Nordkoreaner können schließlich niemals öffentlich behaupten, dass sie freiwillig geflohen sind, wenn sie ihre Familienangehörigen in ihrer Heimat nicht bedrohen wollen", sagt Buchautor und Journalist Donald Kirk, der seit den frühen 1970er Jahren über Korea berichtet: "Es ist fast unmöglich herauszufinden, wer hier die Wahrheit sagt."

Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass der südkoreanische Geheimdienst in einem politischen Manipulationsskandal verwickelt wäre. Zuletzt im Wahlkampf 2013 ordnete der damalige Geheimdienstchef an, mittels tausender gefälschter Twitter-Profile die konservative Kandidatin und spätere Präsidentin Park Geun-hye zu unterstützen. Ihr Vater, Park Chung-hee, hatte während der 1960er Jahre den Geheimdienstapparat auf der Höhe des Kalten Kriegs zu einem brutalen Überwachungsapparat aufgebaut. Kritiker sagen, dass dieser sich bis heute nicht ausreichend reformiert habe.

Ein Deutscher, der während der 1990er Jahre eine parteipolitische Stiftung in Seoul geleitet hat, sagt mit Verweis auf Anonymität: "Wann immer wir von einer Delegationsreise aus Nordkorea in den Süden zurückkamen, verfolgten uns Geheimdienstmitarbeiter die nächsten Wochen auf Schritt und Tritt. Teilweise fühlten wir uns stärker überwacht als in Nordkorea".