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Zur Sexarbeit in Wien gezwungen

Von Bernd Vasari

Politik
Sexsklaverei und Menschenhandel florieren zurzeit. Viele Opfer stammen aus Nigeria.
© © © Brooklyn Production/CORBIS

Der Frauenhandel ist ein lukratives Geschäft - Wien ist eine Drehscheibe.


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Wien. Joana Adesuwa Reiterer kam mit 22 Jahren nach Wien. Sie hatte sich in ihrer Heimat Nigeria in Tony (Name geändert) verliebt, der wie sie aus Benin City stammte, einen österreichischen Pass hatte und behauptete, als Reiseunternehmer in Wien zu arbeiten. Die beiden heirateten, Reiterer verkaufte ihre Boutique und hoffte auf ein neues, glückliches Leben mit Tony in Wien. Der Traum währte nicht lange. In Wien änderte sich Tonys Verhalten, und sie merkte bald, dass sie einen Menschenhändler geheiratet hatte. Er nahm ihr den Pass ab, den er fortan für den Frauenhandel benutzte und ließ sie nicht mehr aus der Wohnung. Das Essen musste Reiterer ihrem Mann auf Knien servieren.

Bevor Joana Adesuwa Reiterer die Flucht aus der Ehe gelang, konnte sie den Menschenhandel noch aus nächster Nähe miterleben. Sie lebte mit nigerianischen Mädchen zusammen, die als Prostituierte arbeiten mussten. Die Frauen erzählten ihr von der harten Arbeit am Strich, dass sie eigentlich ihren Familien helfen wollten, aber wegen der hohen Rückzahlungen an Tony dazu nicht im Stande waren. Auch weglaufen konnten sie nicht ohne Papiere und Geld.

Menschenhandel und Sklaverei sind europaweit ein lukratives Geschäft. Laut Schätzungen der Friedrich-Ebert-Stiftung werden damit in der EU zirka zehn Milliarden Euro pro Jahr verdient, mehr als 90 Prozent davon mit Frauen und Kindern. 500.000 Mädchen und junge Frauen werden nach Angaben von Amnesty International jährlich nach Westeuropa geliefert, wo sie für Heiratszwecke oder als Prostituierte verkauft werden. Ein Großteil kommt aus Nigeria, besonders viele aus Benin City, wie Joana Adesuwa Reiterer. Es ist eines der Zentren des Frauenhandels.

Reiterer ist heute Autorin und Obfrau des Vereins "Exit", der Opfer von Frauenhandel berät. Der "Wiener Zeitung" erklärt sie, wie Schlepperei in Nigeria funktioniert. "Den Familien wird erzählt, dass ihre Töchter als Babysitter oder im Computerladen arbeiten können. Selbst wenn die jungen Frauen ahnen, dass sie als Prostituierte arbeiten werden, haben sie noch keine Vorstellungen, wie schlecht die Bedingungen hier wirklich sind." Für den Transport werden in Nigeria 45.000 Euro veranschlagt. Im Endeffekt sind es 60.000 bis 80.000 Euro, die die Frauen hier abarbeiten müssen, da sie auch Essen, Kleidung und die Miete mitzahlen müssen. "Das erfahren sie aber erst in Europa", sagt Reiterer. In Europa wird ihnen dann der Pass abgenommen, sie werden eingeschüchtert und isoliert.

Gesetzlich sind Asylwerbende vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Als Prostituierte dürfen sie aber legal arbeiten. "Das wird von den Schleppern ausgenützt," betont Elisabeth Tichy-Fisslberger, Leiterin der Rechts- und Konsularsektion im Außenministerium. "Den Mädchen wird gesagt, dass sie um Asyl ansuchen sollen, das Verfahren dauert dann ein paar Jahre und derweil können sie als Prostituierte arbeiten." In dem Arbeitsverbot für Asylwerbende sieht Evelyn Probst, die beim Verein Lefö die Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel leitet, ein grundlegendes Problem: "Wir fordern einen Zugang zum unselbstständigen Arbeitsmarkt für Asylwerbende."

Der Ausbeutung von Nigerianerinnen als Sex-Sklavinnen in Österreich widmet sich Donnerstagabend eine Veranstaltung des Wiener Instituts für Dialog und Zusammenarbeit in der Diplomatischen Akademie. Probst und Tichy-Fisslberger gehören beide zu den Referentinnen. "Die Politik agiert zu wenig nachhaltig", kritisiert Probst. "Um etwas zu ändern, muss man sich auf allen Ebenen dem Thema widmen: Private Organisationen, Polizei, Justiz. Es muss ausreichende Schulungen geben." Dem widerspricht Tichy-Fisslberger: "Es gibt regelmäßige Schulungen und Trainings, die vor allem von der Polizei angenommen werden." Sie gibt aber zu, dass Staatsanwälte und Richter wenig Interesse haben, da es laut ihnen "zu wenige Fälle gibt".

Den Frauen erzählen die Menschenhändler meist, wie rassistisch die Österreicher sind; die würden ihnen auf keinen Fall weiterhelfen. "Viele Klienten der Frauen sind tatsächlich rassistisch", erzählt Reiterer. "Sie können ihren Rassismus in der Dunkelheit ausleben, es geht hier auch um Macht."

Wer die Arbeit verweigert, gefährdet die eigene Familie

Neben dem Nichtverstehen der Sprache erschwert auch der "Juju Schwur" ein Entkommen. Noch in Nigeria müssen die Frauen darauf schwören, dass sie nicht weglaufen werden, bis das Geld abbezahlt ist. "Manche glauben sogar, dass man stirbt, wenn man den Schwur bricht." Weiters setzen die Frauen bei Arbeitsverweigerung die Sicherheit ihrer Familien in Nigeria aufs Spiel, wie auch die staatliche Stelle für die Bekämpfung von Menschenhandel in Nigeria bestätigt. Oftmals werden daher keine Behörden aufgesucht.

Evelyn Probst betont: "Man muss den Frauen vermitteln, dass sie hier sicher sind. Sie brauchen einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Dann wird die Bereitschaft zur Aussage steigen. Außerdem muss die Möglichkeit geschaffen werden, Familien der Opfer umsiedeln zu können, damit diese nicht so leicht Opfer von Gewalt werden." Tichy-Fisslberger hält einen gesicherten Aufenthaltsstatus vor der Befragung für unrealistisch. "Wir haben die Strukturen diesen Opfern zu helfen."

Die Erlebnisse hinterlassen bei den Betroffenen tiefe Narben. Blessing etwa kommt aus Benin City. Sie wurde als Mädchen nach Europa verkauft und musste als Zwangsprostituierte arbeiten. Ursprünglich hatte man ihr ein Studium und einen Job versprochen. "Am ersten Abend ging ich auf die Straße. Dann kamen die ersten Kunden. Ich war nicht mehr Blessing. Die, die ich einmal gewesen war, war tot. Weiße Männer schliefen mit mir, gaben mir Geld, und ich lieferte es ab. Wenn sie nicht zahlen wollten, dachte ich: Gott, wie soll ich das überleben?"Acht Monate später wurde Blessing nach Nigeria abgeschoben. Heute lebt sie schwer traumatisiert in Benin City.

Erlebnisse wie jene von Blessing und Joana Adesuwa Reiterer haben Mary Kreutzer und Corinna Milborn in dem Buch "Ware Frau" festgehalten. Milborn sieht das Versagen in Wien eher bei der Justiz als bei der Polizei. Das verdeutlicht sie am Fall von Linda (Name geändert), die 2003 nach Österreich verschleppt und zur Prostitution gezwungen wurde. "Anfangs versuchte sie, zu fliehen, doch man flieht nicht vor der Menschenhandelsmafia." Lindas Körper ist seither mit Narben übersät. "Also zahlte sie, mit 30 Euro pro Freier, mehrere 10.000 Euro an die Menschenhändler ab", berichtet Milborn. "Sie setzte ihr Leben aufs Spiel, ging zur Polizei und sagte aus" - wie es sich die Behörden wünschen. Trotz ihrer Aussage hat kein Gerichtsverfahren stattgefunden. Das Verfahren um "besonderen Schutz für Opfer von Menschenhandel" war zwei Jahre im Laufen. "Mittendrin wurde sie abgeschoben - in die Hände der Mafia."

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