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Dass Menschen nicht nur körperliche, sondern auch seelische Verwundungen durch Katastrophen aller Art - Krieg, Erdbeben, Wirbelstürme, Unfälle, Vergewaltigung, Folter, sexueller Mißbrauch etc.- erleiden, zu dieser Erkenntnis gelangte man nur langsam.
Ende des l9. Jahrhunderts beobachteten Ärzte zwar, dass verletzte Zugunfallopfer nach der medizinischen Versorgung über psychische Probleme klagten, da man aber glaubte, diese Menschen würden nur simulieren, um finanziell entschädigt zu werden, sprach man abschätzig von ,,Rentenneurose". Ernster genommen wurden dann die seelischen Probleme der Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg: Die alsbald ,,Kriegszitterer" genannten Männer litten unter Albträumen, Angstzuständen, Tremor (Muskelzittern). Nach dem Zweiten Weltkrieg beobachtete man Ähnliches auch an Zivilisten, Kriegsgefangenen, KZ-Überlebenden. Endgültig zum Thema in Fachkreisen wurde die Problematik nach dem Vietnam-Krieg, als US-Psychiater dezidiert auf die seelischen Schäden der Heimkehrer aufmerksam machten und eine genau definierte Diagnose-Einheit schufen: das Syndrom der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).1980 wurde dieses von der WHO als Krankheitsbild anerkannt.
Dabei, so Notfallpsychologin Verena Greimel, sind Stressreaktionen zunächst einmal völlig normal, ja notwendig, um unser Überleben zu sichern. Erfahren wir Gewalt und Gefahr, stellt der Körper auf Kampf und Flucht: die Herzaktivität steigt, die Muskeln sind angespannt, die Aufmerksamkeit bündelt sich. lst die unmittelbare Gefahr vorbei, kommen Körper und Seele trotzdem nicht gleich wieder zur Ruhe: Man bleibt übererregt, schläft schlecht, steht neben sich, will alles vermeiden, was an das Geschehen erinnert.
Diese ,,akute traumatische Reaktion", die auch sogenannte Sekundärtraumatisierte, die als Helfer, Angehörige etc. ,,nur" indirekt in ein katastrophales Geschehen involviert sind, zeigen können, klingt normalerweise wieder ab.
Tut sie es nicht, brauchen die Betroffenen dringend Hilfe. Andernfalls kommt es zu besagter PTBS mit einer Fülle zusätzlicher Symptome, die bei Nichtbehandlung chronisch werden können: als psychosomatische Beschwerden (Magen, Darm, Herz etc.), als massive Schlafstörung, als Phobie oder andere Angstkrankheit. Es drohen Neurosen, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch, Arbeitsunfähigkeit, sogar Selbstmord.
,,Natürlich", so Greimel, ,,werden viele Menschen mit einem Trauma auch alleine fertig. Aber die seelischen Wunden heilen nicht bei allen von selbst. Spezialisten können dann durch das Debriefing helfen, das bei Traumatisierten in kurzer Zeit ungeahnte Bewältigungsfähigkeiten mobilisieren kann. Oft ist aber auch eine regelrechte längere Psychotherapie angezeigt"