Die EU-Kommission hat es satt, dass Mitgliedstaaten heikle Entscheidungen an die Brüsseler Behörde abschieben.
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Brüssel. Es ist ein Spiel, das die Regierungen gerne mitmachen und die EU-Kommission gar nicht mag. Wenn es einen Erfolg in der europäischen Politik zu vermelden gilt, dann wird er von den Vertretern der Länder zu Hause als eigener dargestellt. Und wenn Entscheidungen fallen, die den Bürgern zu missfallen drohen, dann wird "Brüssel" verantwortlich gemacht. Womit meistens die Kommission gemeint ist, die Behörde, die in der Europäischen Union vor allem Aufgaben der Exekutive übernimmt.
Dass sie dieser die Kompetenzen selbst übertragen haben, sagen die Politiker in ihren Hauptstädten kaum dazu. Zwar werden etliche Beschlüsse im sogenannten ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gefällt, in das der Rat, also die Versammlung der Mitgliedstaaten, sowie das EU-Parlament eingebunden sind. Doch um technische Details zu fixieren oder Anpassungen vorzunehmen, erteilen Rat und Abgeordnetenhaus der Kommission legislative Befugnisse.
In Expertenausschüssen, in denen Beamte der Brüsseler Behörde und der jeweiligen Ministerien der Mitgliedstaaten vertreten sind, werden die Feinheiten ausgearbeitet. Denn ähnlich wie auf nationaler Ebene können sich Politiker, ob in der Regierung oder im Parlament, nicht mit jedem einzelnen Detail einer Verordnung beschäftigen.
Dieses Prozedere, genannt Komitologie, ist daher durchaus sinnvoll. Dies räumen selbst Skeptiker ein, die ansonsten in dem Verfahren den Mangel an Transparenz und demokratischer Legitimation beklagen. Doch kann es auch von den Mitgliedstaaten dazu genutzt werden, heikle Entscheidungen von sich zu weisen und diese der Kommission zu überlassen. Wenn es nämlich keine Einigung unter den Ländern gibt, ist wieder die Behörde an der Reihe. Und die kann dann für das Ergebnis beschuldigt werden.
Debatte um neue Abstimmungsregeln
Das ist beispielsweise der Fall bei der Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat oder des Anbaus genveränderter Maissorten. Beides ist hoch umstritten, und nun muss die Kommission eine Entscheidung dazu treffen. Das vielerorts geschmähte Glühbirnen-Verbot ist übrigens ähnlich entstanden: Auch da hatten Rat und EU-Parlament Befugnisse an die Kommission übertragen.
Deren Präsident Jean-Claude Juncker hat dieses Spiel, in dem seine Behörde oft genug als Prügelknabe herhalten muss, nun satt und will die Regeln ändern. Er findet, dass die anderen EU-Institutionen für Beschlüsse ebenfalls die Verantwortung übernehmen müssen, statt diese von sich zu schieben. "Es ist nicht richtig, dass, wenn die Mitgliedstaaten sich nicht untereinander darauf verständigen können, ob sie die Verwendung von Glyphosat verbieten oder nicht, die Kommission von Rat und Parlament zu einer Entscheidung gezwungen wird", erklärte Juncker im September des Vorjahres in seiner Rede vor EU-Abgeordneten in Straßburg. Ebendort will die Kommission am kommenden Dienstag die Vorschläge zur Änderung des Komitologie-Verfahrens präsentieren.
Junckers Vorhaben beinhaltet mehrere Möglichkeiten. So könnten die Abstimmungsregeln in den Ausschüssen geändert werden, indem etwa Stimmenthaltungen nicht berücksichtigt würden. Eine andere Option wäre es, den Entwurf, auf den sich das Expertengremium nicht einigen kann, in den Rat zurückzuschicken und damit die Mitgliedstaaten - und nicht die Kommission - in die Pflicht zu nehmen. In ihrer Sitzung nächste Woche will die Behörde die Pläne konkretisieren.
Allerdings regt sich auch schon Skepsis. So sei Junckers Idee ein verzweifelter Versuch, "nicht die heiße Kartoffel zugeschoben zu bekommen", kommentiert Bert Van Roosebeke von der in Freiburg ansässigen Denkfabrik CEP (Centrum für Europäische Politik). Freilich sei dieser Versuch verständlich, weil die Mitgliedstaaten "aus mangelndem Mut" die Komitologie missbrauchen würden. "Auf der anderen Seite kommen die Gesetzesvorschläge ja von der Kommission, und die will oft selbst die Befugnisse erhalten", sagt Van Roosebeke.
Aus seiner Sicht lösen Änderungen im Verfahren das Grundproblem daher nicht. Das sei nämlich ein politisches und nicht eines der Regulierung. Komitologie sei bei einer komplexen Gesetzgebung - wie sie in demokratischen Staaten nun einmal ist - "zwingend notwendig". Die Frage nach einer demokratischen Kontrolle sei eine andere.
Wieder eine andere ist die, ob Juncker mit seinen Vorschlägen Erfolg haben wird. Denn den Änderungen müssen die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament zustimmen.