Im Angesicht der Wahl Michael Spindeleggers ist die ÖVP wild entschlossen, sich selbst ganz laut Mut zuzusprechen. Das muss sie auch tun, denn von anderer Seite hat sie kaum Aufmunterndes zu erwarten. Eher schon das Gegenteil. Bestenfalls stößt die ehemalige Großpartei auf Mitleid, sei es aufrichtiges oder geheucheltes.
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Der Versuch des Niederösterreichers Josef Pröll, die ÖVP zu modernisieren, sie für neue Wählerschichten zu öffnen, ohne die alten zu vergraulen, darf als gescheitert betrachtet werden. Nun ist es am Niederösterreicher Michael Spindelegger, den nächsten Versuch zu starten. Demnächst sollte es dann aber schon klappen, wenn die ÖVP nicht zum bloßen Mehrheitsbeschaffer erniedrigt werden will.
Das Problem mit Niederösterreichern an der Spitze der ÖVP ist, dass sie es gewohnt sind, dass fast alles und jeder nach ihrer Pfeife tanzt. Kaum in Wien, merken sie, dass es in der Bundeshauptstadt nicht nur anders, sondern mitunter sogar genau umgekehrt zugeht. Das ist ein Lebensumfeld, das blau-gelbe Schwarze nicht gewohnt sind.
Der Wiener Werner Faymann wird kaum den Fehler begehen, den Neuen an der Spitze der ÖVP zu unterschätzen. Beide wissen, dass ihr Gegenüber das Macht-Gen quasi im Erbgut eingestanzt hat. Es ist kein Zufall, dass die Drähte zwischen dem roten Wien und dem schwarzen Niederösterreich traditionell kurz sind. Allein schon von daher haben Kanzler und Vize auch künftig eine gemeinsame Wellenlänge.
Schwieriger wird sein, die Marke ÖVP zu erneuern. Das beginnt damit, wie man diese eigentlich unmögliche Partei überhaupt kurz und bündig beschreiben will: Denn "konservativ" ist für viele gleichbedeutend mit reaktionär; "christlich-sozial" ein Begriff aus dem vorvergangenen Jahrhundert; "liberal" entweder völlig sinnentleert oder in Ergänzung mit "neo-" zum größtmöglichen Schimpfwort verkommen; und wer schlicht bei "rechts" seine Zuflucht sucht, gerät im Alltagssprachgebrauch gefährlich nahe an "rechtsextrem". Wer dann wieder einmal bei der "Kraft der Mitte" landet, sei gewarnt, dass sich in diesem unendlich weiten Land schon viele hoffnungslos verirrt haben.
Der neue ÖVP-Obmann wird nicht zuletzt also auch den Kampf um die Interpretationshoheit der politischen Begriffe aufnehmen müssen.