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Zurück am afghanischen Schachbrett

Von Veronika Eschbacher

Politik

Eine russische Sicherheitsfirma soll Söldner für Afghanistan rekrutieren. Aber wozu?


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Moskau/Kabul. Es war ein kurzes Gespräch mit überraschendem Ausgang. Ein gewisser Pawel Nikulin hatte sich im Jänner als potenzieller Söldner auf eine Anzeige im größten russischen sozialen Netzwerk VK gemeldet. Nach dem Abklären allgemeiner Fragen nach Staatsbürgerschaft, Alter und militärischer Erfahrung fragte Nikulin den Rekrutierer: "Wo wird mein Einsatzort sein? In Syrien?" Der Mann am anderen Ende winkte ab. Syrien sei doch schon ein altes Thema. "Vermutlich kannst du es dir denken. In den Achtzigerjahren hat unsere Armee bereits dort gekämpft. Es gibt dort viel Sand und Gebirge", sagte er. Und fügte hinzu: "Auch dort wird es eine Friedensoperation geben."

Moskau untergräbt Nato und afghanische Regierung

Pawel Nikulin gibt es nicht; seine Identität wurde von "Zeit Online" erfunden, um den Rekrutierungsprozess für russische Söldner nachzuzeichnen. Dass russische Private Military Contractors, also private Militärfirmen, für den Einsatz in Konflikte im Ausland rekrutieren, ist keine Überraschung. Sie sind Medienberichten zufolge bereits erst vereinzelt in der Ukraine und später in Syrien an der Seite der russischen Armee aufgetaucht (siehe Infokasten).

Unerwartet ist dafür die Destination, für die die Wagner-Gruppe, der eine besondere Nähe zum Kreml nachgesagt wird, rekrutiert. Freilich gibt es in dem Land am Hindukusch, das bereits seit 1979 im Dauerkrieg steckt, einen attraktiven Kuchen für Söldner und private Militärfirmen, der auch der strauchelnden russischen Wirtschaft zugutekommen könnte. Alleine die USA hatten im ersten Quartal 2016 laut US-Verteidigungsministerium 30.455 Contractor in Afghanistan unter Vertrag; zu der Zeit hatten sie rund 9800 Soldaten im Land. Fast die Hälfte war im Bereich Logistik und Wartung tätig, rund zehn Prozent waren für Sicherheitsaufgaben zuständig.

Laut Vadim Kozyulin, Militär- und Zentralasienexperte der Moskauer Denkfabrik "Pir Center", sind bereits jetzt in Afghanistan vereinzelt russische Hubschrauberpiloten oder Techniker für aus Russland stammendes Kriegsgerät zu finden sowie Logistiker. Es gebe vor allem im Sicherheitsbereich Luft nach oben, denn Russland habe eine Armada an Sicherheitskräften in der Privatwirtschaft. Sie bewachen Schulen, Apotheken, Wechselstuben, Parkplätze oder Tankstellen. Nicht selten seien sie pensionierte Offiziere oder Oberste. "Vielen von ihnen gefällt es nicht, einfach nur den Schlagbaum zu öffnen", sagt Kozyulin. "Sie sind bereit, etwas Interessanteres zu machen, zumal, wenn es besser bezahlt wird. Der Staat hat in ihnen eine große Ressource, und er gewöhnt sich daran, diese zu nutzen."

Die Rekrutierungsbemühungen der Wagner-Gruppe fallen in eine Zeit, in der Afghanistan immer öfter auf der Moskauer Tagesordnung auftaucht. Russland initiierte Ende 2016 Afghanistan-Konsultationen in Moskau mit China und Pakistan, die diese Woche erweitert um Vertreter aus Indien, dem Iran und auch Kabul fortgesetzt wurden. Auch ein bilateraler Dialog wird vorangetrieben; vermehrt werden nun auch wieder afghanische Offiziersanwärter zur Ausbildung nach Moskau geholt und Stipendien an afghanische Studenten vergeben.

Gleichzeitig nähert sich Russland seit mehreren Monaten Taliban-Gruppen an. Das stößt anderswo auf Unverständnis. "Russlands Standpunkt lautet in etwa: Die Taliban sind diejenigen, die den Islamischen Staat in Afghanistan bekämpfen", sagte kürzlich der Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan, John Nicholson. Die Legitimität, die Moskau den Taliban verschaffe, beruhe nicht auf Tatsachen. Sie werde vielmehr dazu genutzt, die Anstrengungen der Nato und der afghanischen Regierung zu untergraben.

"Afghanistan ist Russland näher als dem Westen"

Nicht zuletzt taucht Afghanistan in russischen Medien immer öfter auf. Es wird regelmäßig berichtet, dass sich Moskau um die Lage in Afghanistan sorge, insbesondere "das Streben der Terrorgruppe Daesh, andere Formierungen der bewaffneten Opposition zu absorbieren". Im Boulevard-Blatt "Komsomolskaja Prawda" erschien dieser Tage ein Interview mit einem Taliban-Führer, der erklärte: "Die Geschichte hat gezeigt, dass Afghanistan Russland näher ist als dem Westen."

Kozyulin bestätigt, dass Moskau aktuell nach einer neuen Strategie in Afghanistan sucht. Es herrsche das Verständnis, dass die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika das Land in die Sackgasse geführt habe und sich US-Präsident Donald Trump wohl darum bemühen werde, das Problem so rasch wie möglich loszuwerden. "Das heißt, es gilt nun, mögliche Verluste gering zu halten."

Damit ist wohl auch zu erklären, dass Moskau gerade fast hyperaktiv jede Menge Figuren, inklusive privater Militärfirmen, deren Einsätze oder Verluste kein innen- oder außenpolitisches Aufsehen erregen, gleichzeitig auf dem Schachbrett Afghanistan in Stellung bringt. Immerhin muss der Kreml nun miteinberechnen, dass das Monopol der Unvorhersehbarkeit, das es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin so lange erlaubt hatte, über seiner wahren Gewichtsklasse zu boxen, an einen gewissen Donald Trump verloren ging.

Laut Kozyulin könne man aber der Aussage Moskaus Glauben schenken, dass kein (in dem Fall wohl offizieller) russischer Soldat einen Fuß auf afghanische Erde setzen werde. Das Trauma des Afghanistankriegs sitzt bei den Russen tief. Geht es nach Kozyulin, dürfte der jetzige Aufwand wohl vor allem einem dienen: den Status quo zu erhalten. "Momentan reicht Russland die Rolle des Beschützers Zentralasiens. Es ist praktisch, wenn die Taliban ein Puffer sind, der die Entwicklung der Infrastruktur aus Zentralasien in den Süden behindert, und die USA samt Verbündeten die Rechnung dafür bezahlen - darunter die Lieferung russischer Kriegsgeräte."

(vee) Söldner und private Militärfirmen waren in Russland lange verpönt. Moskau hatte kein Interesse daran, sein Gewaltmonopol aufzuweichen, und beobachtete, wie die USA, Großbritannien und Israel die Dienste privater Spezialfirmen in Anspruch nahmen, um die eigenen Soldaten zu entlasten - oftmals operierten sie dabei in rechtlichen Grauzonen. Einen Negativ-Höhepunkt erreichte die Entwicklung, als der US-Kongress 2007 die US-amerikanische private Militärfirma Blackwater und deren Männer, die als Schattenarmee mit der regulären 2003 im Irak eingerückt war, als aggressive und schießfreudige Privat-Rambos bloßstellte.

Laut Gesetz sind private militärische Firmen in Russland weiter verboten. 2012 deutete Wladimir Putin jedoch erstmals bei einer Rede in der Duma an, dass private Militärfirmen durchaus eine Möglichkeit seien, nationale Interessen ohne direkte Beteiligung des Staates durchzusetzen. Ein Jahr später wurde der Idee eines Aufbaus privater Militärfirmen mit staatlicher Unterstützung aber eine Absage erteilt.

Seither jedoch scheint sich die Perspektive Moskaus zu ändern, offenbar angetrieben durch Erfahrungen in der Ukraine und in Syrien. Der britische Historiker Mark Galeotti sieht den Donbass als erstes Versuchsfeld für neue, staatlich kontrollierte, aber nominell private Initiativen des Kreml. Zu diesen gehörten etwa das Bataillon Wostok, das 2014 eingesetzt wurde, bis hin zu anderen Gruppen wie Kosaken oder Veteranen, die zu einem großen Teil vom Inlandsgeheimdienst FSB oder dem Militärgeheimdienst GRU zusammengetrommelt wurden, wie Galeotti in einer Analyse schreibt. Andere, unabhängige Milizen hätten sich davor oft als ineffizient und unkontrollierbar erwiesen.

Ein nächster Schritt erfolgte in Syrien. Laut "Foreign Policy" folgten der russischen Intervention im September 2015 fast 1500 russische Söldner der Firma Wagner-Gruppe (andere Berichte führen niedrigere Zahlen an). Ihre Aufgabe war es, das Assad-Regime zu unterstützen. Die Gruppe soll eine wichtige Rolle im Kampf um Palmyra gespielt haben. Wagner genieße, so "Foreign Policy", umfangreiche Unterstützung der Regierung; die Mitarbeiter sollen auf einer Basis in Südrussland mit Spezialeinheiten trainieren und auch an Bord russischer Militärflugzeuge nach Syrien fliegen. Der Kreml äußerte sich bisher nicht wirklich zur Wagner-Gruppe. Auf die Frage, ob der mutmaßliche Leiter der Wagner-Gruppe, Dmitrij Utkin, Kämpfer in Syrien habe, antwortete Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow im Jänner, er wisse nicht, ob Utkin Kämpfer habe und ob diese in Syrien seien und ob sie überhaupt irgendeinen Status hätten.

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