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Zurück an den europäischen Tisch der neuen Verfassung

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Die irische Ratspräsidentschaft drängt auf eine Verabschiedung der EU-Verfassung bis Ende Juni. Auf diesen Termin dürften sich die Staats- und Regierungschefs dieses Wochenende festlegen, wie sich bereits vor Beginn des EU-Gipfels abzeichnete. "Moderat optimistisch" fällt auch die Einschätzung der Politologin Sonja Puntscher-Riekmann aus. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" nennt sie mehrere Gründe für die offenkundige Bewegung in der Verfassungsdebatte.


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Das "Ursache-Wirkung-Prinzip" sei in der Politik oftmals schwierig zu ergründen. Dennoch sei den Terroranschlägen von Madrid "eine Läuterungsfunktion zuzuschreiben", meint die Politikwissenschaftlerin, die an der Universität Salzburg lehrt und die Forschungsstelle für institutionellen Wandel und Europäische Integration an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften leitet. Nach dem 11. März seien die EU-Staaten "von Neuem aufgewacht" und hätten sich der alten Erkenntnis besinnt, "wir brauchen eine andere Außenpolitik".

"Die Politik besteht auch zu einem Gutteil aus Taktiken", bekennt Puntscher-Riekmann. Freilich sei der Schwenk der sozialistischen Wahlsieger in Spanien in der Verfassungsdebatte zum Teil auch innenpolitisch motiviert. Der designierte Premier José Luís Zapatero "möchte die Spanier an den europäischen Tisch zurückführen", meint ebenfalls ein EU-Diplomat: "Zapatero weiß, wenn er sich in der Verfassungsdebatte weiter quer legt, hat er ganz schlechte Karten für die Finanzverhandlungen."

Management statt Trommelfeuer

Aber nicht nur die Konservativen in Spanien, sondern auch in Italien hätten sich in der Verfassungsdebatte "in Szene setzen" wollen, konstatiert Puntscher-Riekmann. Und übt Kritik am "katastrophalen Management" der Regierungskonferenz druch den vergangenen EU-Vorsitzenden, den italienischen Premier Silvio Berlusconi. Dass nun die irische Ratspräsidentschaft die Verhandlungen besser, "einfach clever" führe, wird auch in Brüsseler Delegationskreisen beobachtet.

"Die Iren haben nichts von den bisherigen Gesprächen nach außen getragen und haben so ein großes Trommelfeuer vermieden", fühlt sich ein hochrangiger EU-Diplomat im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" an die "Metternich'sche Kabinettspolitik" erinnert. "Also Sie sehen, Transparenz ist auch nicht alles."

Zum "Multieffekt", der den positiven Schwenk in Richtung Verfassung bedingt hat, zählt Puntscher-Riekmann auch das Nationalbewusstsein der ehemals kommunistischen EU-Beitrittsländer. "Diese neue Form von Nationalismus, nachdem sich die Länder erst aus der Umarmung Moskaus gelöst haben, ist psychologisch verständlich." Dort habe erst der Lernprozess begonnen, "dass wir Europa nicht bauen können, wenn nicht jeder nachgibt". Die Politologin kann dank des irischen Verhandlungsgeschickes "ein neues Fenster der Gelegenheit" erkennen; "ob man hineinsteigt, ist offen, wir haben noch nicht alle Punkte verhandelt".

Tatsächlich müssen die harten politischen Brocken der qualifizierten Mehrheiten, der Abstimmungsmodus im Rat sowie die Zusammensetzung der Kommission erst wieder angegangen werden. Die alte Forderung Österreichs etwa, wonach es nach der EU-Erweiterung weiterhin einen stimmberechtigten Kommissar pro Mitgliedsland geben soll, ist nach wie vor umstritten. Auch müssten die Steuer- und die Sozialpolitik nach wie vor dem Einstimmigkeitsprinzip unterworfen bleiben. Andernfalls könnten sich Großbritannien und Dänemark querlegen, heißt es.