Im Kosovo wird am Sonntag gewählt. Radikalen Parteien setzen den Aussöhnungsprozess aufs Spiel.
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Pristina. Emine Bajraktari stockt kurz. Dann sagt die 29-jährige Architektin an diesem sonnigen Freitag in der schon sehr früh stark pulsierenden Fußgängerzone "Sheshi Nene Tereza" im Herzen Pristinas das, was sie sich nach den vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag im Kosovo von der neuen Regierung wünscht: "Wir brauchen bessere Schulen, bessere Universitäten. Davon würde die ganze kosovarische Gesellschaft profitieren."
Dies hat der Kosovo auch nötig. In einer OECD-Studie rangiert er mit den Leistungen seiner Schüler in Mathematik, Lesen und anderen Schulfächern ganz unten. Und nicht nur das marode Bildungssystem hat enormen Nachholbedarf.
Für Kushtrim Palushi, einen 38-jährigen Rechtsanwalt, müsste der Kampf gegen die "ausufernde Korruption" das Ziel Nummer eins für Kosovos Polit-Elite sein. "Ich glaube aber nicht daran, dass unsere Politiker gegen dieses Übel jemals ernsthaft vorgehen werden", sagt er. Palushi zuckt mit den Schultern. Wen er am Sonntag wählen werde, wisse er noch nicht. "Die Entscheidung treffe ich im letzten Moment, vielleicht erst in der Wahlkabine", fügt er lächelnd hinzu.
Der Kosovo ist Europas jüngster Staat - und ein Land im Krisenmodus. Die Arbeitslosigkeit beträgt rund 30 Prozent. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt in absoluter Armut, von weniger als 1,42 Euro pro Tag, und fast jeder Fünfte hat nicht einmal einen Euro täglich zur Verfügung.
Zu allem Überfluss leidet der Kosovo unter einer chronischen innenpolitischen Instabilität. Eine große Koalition aus den dominierenden Parteien PDK (Demokratische Partei) und LDK (Demokratische Liga) war am 10. Mai an einem Misstrauensvotum gescheitert. Damit zerbrach bereits die dritte Regierung in Folge vor dem regulären Ende ihrer Amtszeit. Sogar die stimmenstärkste PDK unterstützte den Antrag der Opposition auf Absetzung der Regierung. 78 der insgesamt 120 Abgeordneten stimmten gegen den damaligen Premier Isa Mustafa (LDK).
Dessen Regierung war schon lange nicht mehr handlungsfähig. Ein bereits im August 2015 vereinbartes Abkommen mit Serbien, das die Unabhängigkeit des Nachbarn nicht anerkennt, konnte sie nicht umsetzen. Der Vertrag sieht eine weitgehende Autonomie der Serben im Norden Kosovos vor. Sie stellen nur noch etwa fünf Prozent der Bevölkerung.
Vor Rechtsruck
Außerdem konnte Mustafas Kabinett ein Grenzabkommen mit Montenegro nicht ratifizieren. Dagegen läuft die nationalistische Opposition in Pristina Sturm. Die Vereinbarung werde Kosovo "um tausende Hektar Land berauben", polterte sie - und blockierte die Parlamentsarbeit immer wieder mit Tränengasattacken. Sogar das EU-Angebot, den Visazwang für Kosovaren für Reisen in den Rest Europas abzuschaffen, falls das Parlament in Pristina die Rechte der serbischen Minderheit stärkt und die Grenzen zu Montenegro festzurrt, blieb ohne Wirkung.
Nun steht der Kosovo offenbar vor einem Rechtsruck. Die PDK, schon längst zur wichtigsten politischen Nachfolgeorganisation der paramilitärischen Befreiungsarmee UCK avanciert, will künftig eine Regierungskoalition mit dem nationalistischen Ex-UCK-Anführer Ramush Haradinaj und dessen bisher oppositionellen Allianz für die Zukunft (AAK) sowie Fatmir Limaj von der Nisma-Partei (Initiative) schmieden.
In allen Umfragen liegt dieser radikale Flügel mit kumuliert 41 Prozent der Stimmen weit voran. Zumindest partielle Unterstützung dürfte er außerdem von der ultranationalistischen Vetevendosje-Partei (Selbstbestimmung/VV) erhalten. Dies würde seine politische Schlagkraft noch erhöhen. Die VV mit Premierskandidat Albin Kurti, einem berühmt-berüchtigten Aktivisten und Befürworter eines "Großalbanien", ist beim letzten Urnengang 2014 mit 13,59 Prozent bereits zur drittstärksten politischen Kraft avanciert. Sie dürfte diesmal noch einmal deutlich zulegen. Insbesondere bei jungen Kosovaren erfreut sie sich stetig steigender Beliebtheit.
Die LDK wiederum hat ihren Partner in der Allianz für ein neues Kosovo (AKR) gefunden. Umfragen geben dem Bündnis aber nicht einmal ein Drittel der Stimmen. Um die 120 Parlamentssitze bewerben sich 26 Parteien und Bündnisse.
Viele Versprechen
Im Endspurt des Wahlkampfs überboten sich die politischen Kontrahenten mit Versprechen an ihre Wähler. PDK-Vorsitzender Kadri Veseli, lange Zeit Chef des omnipotenten Geheimdienstes SHIK, will die Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor um fulminante 30 Prozent anheben. LDK-Kandidat Avdullah Hoti, ein Ökonom, möchte ebenfalls die Staatsausgaben massiv erhöhen. Paradoxerweise haben just jene Nationalisten auch unisono versprochen, die EU zur Abschaffung der Visapflicht zu bewegen - und zwar innerhalb von drei Monaten.
Sollte aber das PDK-Bündnis der Hardliner am Sonntag tatsächlich triumphieren, drohen die mühsam vereinbarte Autonomie der serbischen Minderheit im Norden Kosovos sowie die Festlegung der Grenze zu Montenegro endgültig ad acta gelegt zu werden. Und eine andere Hoffnung, die in Brüssel gehegt wird, dürfte sich zerschlagen: jene, dass das vor kurzem in Den Haag gegründete Internationale Gericht zur Aufarbeitung albanischer Kriegsverbrechen vor allem an Serben diejenigen Top-Politiker im Kosovo neutralisieren soll, die als traditionelle Clanführer die Misswirtschaft, Korruption und Freunderlwirtschaft befeuern.
Sollte der radikale Flügel mit der VV im Schlepptau siegen, würde das wohl in die Ferne rücken. Denn bei einer Machtübernahme wird das Nationalisten-Quartett alles daransetzen, die drohende Verfolgung ihrer führenden Politiker durch die Richter in Den Haag zu verhindern.
Rund 25.000 Staatsbürger des Kosovo leben laut Statistik Austria in Österreich. Fast 32.000 hier ansässige Personen wurden in dem Balkanland geboren. Beide Gruppen seien in den vergangenen Jahren gewachsen, wie die Medien-Servicestelle Neue Österreicher berichtet. So lebten 2009 etwas mehr als 12.000 Kosovaren in Österreich. Am Votum im Kosovo konnten dessen Bürger nur per Briefwahl teilnehmen.
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