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Merkel nimmt ihren internen Kritikern beim CDU-Parteitag Wind aus den Segeln.
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Karlsruhe. Bevor Angela Merkel überhaupt einen Ton von sich gibt, bekommt sie schon Standing Ovations. "Hab doch noch gar nichts gemacht hier", sagt die deutsche Kanzlerin. Die Delegierten beklatschen ihre Chefin am Montag auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe - ein Zeichen dafür, dass man geschlossen auftreten will, auch wenn sich Teile der Partei nach wie vor ein härteres Vorgehen beim Thema Flüchtlinge wünschen.
"Wir schaffen das", hatte Merkel seit dem Spätsommer immer und immer wieder gesagt. Seither wurde das deutsche Asylrecht zwar verschärft, doch die Kritik an Merkel aus der eigenen Partei verstummte nicht. Während die Kanzlerin vom "Time"-Magazin zur "Person des Jahres" gewählt wurde, verschärfte sich der Ton von CSU- und CDU-Mitgliedern. Auf einem Regionalkongress in Sachsen etwa hatte ihr ein Mitglied ein Plakat entgegengehalten mit der Aufschrift "Flüchtlingschaos stoppen, Deutsche Kultur und Werte erhalten - Merkel entthronen". Die rechtspopulistische Partei "Alternative für Deutschland" verbucht in den Umfragen Erfolge und wirkt durchaus bedrohlich.
Teile der Christdemokraten fordern deshalb genauso wie die bayrische Schwesterpartei CSU eine "Obergrenze". Am heutigen Dienstag will Horst Seehofer sprechen. Der CSU-Chef hatte Merkel vor wenigen Wochen auf dem Parteitag in Bayern öffentlich abgekanzelt, da sich die Kanzlerin erneut gegen "Obergrenzen" ausgesprochen hatte. Auch die Junge Union hatte angekündigt, "Druck zu machen".
Der Parteitag in Karlsruhe hätte für Merkel schwierig werden können. Schon am Abend zuvor präsentierte Merkel deshalb ein Kompromisspapier zum Thema Flucht und Integration, das etliche Kritiker als verschärft genug ansahen, um sich zurückzuhalten. Man debattierte beispielsweise darüber, ob die Flüchtlingszahlen "deutlich" oder "spürbar" reduziert werden sollen. Am Ende fand man "eine Formulierung, die es dem einen oder anderen erlaubt, sich besser wiederzufinden", wie Generalsekretär Peter Tauber sagte. Ein Antrag von CDU-Delegierten, die Flüchtlinge bereits an der Grenze zurückweisen wollten, wurde am Montag abgelehnt.
"Zuzug soll verringert werden"
Und nach ihrer Rede auf dem Parteitag steht die CDU-Vorsitzende wieder unangefochten an der Spitze der Christdemokraten. Minutenlang jubelten die Delegierten Merkel in Karlsruhe zu. Merkel hatte sie beeindruckt. Die Kritiker wurden in die Schranken gewiesen: Ja, "ein Andauern des aktuellen Zuzugs" würde "Staat und Gesellschaft, auch in einem Land wie Deutschland, auf Dauer überfordern", weshalb auch die Grenzkontrollen intensiviert werden sollen. Man könne auch erwarten, dass Italien und Griechenland sogenannte Hotspots bauen, wo "registriert, verteilt oder zurückgeschickt" werde. Zudem müsse an einer europäische Küstenwache und einer europäische Grenzschutzpolizei gearbeitet werden, Flüchtlingslager im Libanon und in der Türkei müssten finanziell unterstützt werden. Jene, die in Deutschland Schutz gefunden hätten, müssten Deutsch lernen und zu den deutschen Gesetzen stehen, die sich über "Ehrenkodex, Stammes- und Familienregeln" befänden, so Merkel. "Multikulti bleibt eine Lebenslüge. Und das Gegenteil davon ist Integration."
Und ja, der "Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen soll durch wirksame Maßnahmen spürbar verringert" werden - aber nicht durch eine Obergrenze. Es müsse abgeschoben werden, auch nach Afghanistan, allerdings "mit freundlichem Gesicht". Merkel weiß, dass Obergrenzen Menschen nicht von dem Versuch abhalten würden, illegal nach Deutschland zu kommen.
Merkel erinnerte an das "C" im Namen der Partei und referierte den Delegierten die Linien der CDU. Den Forderungen nach Begrenzung und Abschottung hielt sie die Wichtigkeit Europas sowie die großen Schlüsselbegriffe und Persönlichkeiten der Partei entgegen. Die CDU stehe für christliche Werte und damit für die "von Gott gegebene Würde des einzelnen Menschen". Keine "Menschenmassen" kämen nach Deutschland, sondern "einzelne Menschen". Einmal mehr verkündete die CDU-Chefin: "Wir schaffen das." Es gehöre zur Identität Deutschlands, "Größtes zu leisten". Das stecke "im Kern in uns", in der CDU, "dass wir bereit sind zu zeigen, was in uns steckt", sagte Merkel. "Konrad Adenauer hat 1952 nicht gesagt: ‚Wir wählen etwas Freiheit.‘ Er sagte: ‚Wir wählen die Freiheit‘." Auch Ludwig Erhard habe nicht "Wohlstand für fast alle" gefordert, sondern "Wohlstand für alle". Helmut Kohl habe nicht versprochen, "einige Regionen" in blühende Landschaften zu verwandeln, sondern "alle neuen Bundesländer".
Europäische Mühlen
Europa sei durch die Flüchtlingsfrage "im Innersten herausgefordert". Dass im Spätsommer kurzfristig die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet worden seien, sei ein "humanitärer Imperativ" gewesen. "Wie in einem Brennglas" sei in dieser Nacht eines deutlich geworden: "Die Welt in Europa hat es mit der größten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun." Die europäischen Mühlen würden durchaus langsam mahlen, aber man werde sie zum Mahlen bekommen, sagte Merkel. "Ich möchte, dass Europa diese Bewährungsprobe übersteht."