Zum Hauptinhalt springen

Zurück in der Rezession

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Für das Gros der Griechen heißt es nach den ersten vier Monaten unter Premier Tsipras: Es geht abwärts.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Athen. Theano Fotiou ist seit dem Inkrafttreten des Gesetzes mit der Nr. 4320/2015 und dem Titel "Zur Bekämpfung der humanitären Krise" für die Ärmsten der Armen zu Füssen der Akropolis nur eines: die Inkarnation der Güte. Trotz akuter Geldknappheit der Athener Regierung darf die Vizeministerin für Gesellschaftliche Solidarität heuer 200 Millionen Euro für die Armutsbekämpfung ausgeben.

Die Not ist groß: Mehr als vier der insgesamt elf Millionen Griechen leben unterhalb des Existenzminimums. Als "extrem arm" gilt hierzulande eine Familie mit zwei Kindern, deren Jahreseinkommen weniger als 4800 Euro beträgt. Für eine Einzelperson beläuft sich die betreffende Obergrenze auf 2400 Euro per annum.

Seit Mitte April kann sich jeder Bürger in extremer Armut beim Athener Ministerium für Arbeit und Sozialangelegenheiten registrieren. Am ersten Tag meldeten sich 8666 Griechen, bis dato sind es jüngsten Angaben zufolge 300.266 Anträge, die 633.312 Personen betreffen.

Je nach Bedürftigkeit wird Hilfe vergeben: 300 Kilowattstunden kostenloser Strom im Monat, ein Mietzuschuss von 70 bis 220 Euro sowie Zuschüsse für Lebensmittel. "Wir bereiten eine Prepaid-Karte mit Guthaben vor, mit der beim Metzger, Obsthändler oder im Supermarkt bezahlt werden kann", sagt Fotiou der "Wiener Zeitung". Sie seufzt. "Wir haben es wegen der Krise hier mit kriegsähnlichen Zuständen zu tun, auch wenn wir in Zeiten des Friedens leben."

Kaum Mittel zur Armutsbekämpfung

Die Armutsbekämpfung war eine zentrale Forderung des "Bündnis der radikalen Linken" (Syriza) vor den denkwürdigen Parlamentswahlen am 25. Jänner. Deshalb schuf der neue Premier Alexis Tsipras auch die Position der Vizeministerin für Gesellschaftliche Solidarität, daher trat das besagte Gesetz schon in den ersten 100 Tagen seiner Regierung in Kraft - und wird im Eiltempo umgesetzt. Die Botschaft von Syriza-Chef Tsipras: ’Wir halten, was wir versprochen haben.‘

Nur: Für "die Bekämpfung der humanitären Krise" hatte Tsipras in seinem vor dem Urnengang bekanntgegebenen Regierungsprogramm vollmundig noch knapp zwei Milliarden Euro veranschlagt. Der Grund für die gewaltige Differenz zwischen Wahlversprechen und der Wirklichkeit ist denkbar simpel: Tsipras fehlt schlicht das Geld.

Der Premier versprach damals, nicht zuletzt durch die effizientere Bekämpfung der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche zusätzliche Gelder in die chronisch leeren Kassen des hellenischen Fiskus zu spülen. Ob die berühmt-berüchtigte "Liste Lagarde" der insgesamt 2062 vermeintlichen Steuersünder mit teilweise enormen Guthaben auf Schweizer Bankkonten oder der grassierende Öl- und Tabakschmuggel im ewigen Euro-Sorgenland: Einen wichtigen Pfeiler der Tsipras-Strategie für mehr Steuereinnahmen stellt das erstmals in Hellas eingerichtete Anti-Korruptions-Ministerium dar. Ihm steht Panagiotis Nikoloudis vor, ein Top-Staatsanwalt, den Insider gerne als "harten Hund" bezeichnen.

Nikoloudis kündigte schon früh nach seiner Vereidigung an, Steuern in Höhe von bis zu drei Milliarden Euro aus bisher nicht deklarierten Vermögen kurzfristig eintreiben zu können. Aber: In den ersten vier Monaten des Jahres klafft in Athen in puncto Steuereinnahmen ein Schwarzes Loch. Diese lagen mit 12,22 Milliarden Euro stattliche 884 Millionen Euro unter der im Staatshaushalt für 2015 genannten Zielvorgabe.

Der Umstand, dass auch die erste linksradikale Regierung in der Geschichte Griechenlands unter Premier Tsipras, der gerne als "Europas Che Guevara" bezeichnet wird, offenbar nicht das geringste Interesse daran zeigt, die beachtlichen Steuerprivilegien eines vermeintlichen Klassenfeindes par excellence auch nur ansatzweise anzutasten, bringt überdies nicht nur eingefleischte Syriza-Kritiker auf die Palme. Denn unbehelligt können die rund 800 griechischen Familien der lukrativen Reederbranche auch unter Tsipras ihr Vermögen vermehren - dank der weiter geltenden 58 Steuerbefreiungen. Dadurch gehen Hellas‘ Staatskasse rund neun Milliarden Euro an Steuern verloren - pro Jahr. Schlimmer noch: Auch die neue Regierung erlaubte Reedern bereits neue Steuerbefreiungen.

Kaum Verbesserung für Krisenopfer

Für das Gros der Griechen heißt es nach den ersten gut vier Monaten der Regierung Tsipras hingegen: Es geht abwärts. Hellas ist zurück in der Rezession. Die Wirtschaftsleistung sank im ersten Quartal 2015 um 0,2 Prozent. Kein Wunder: Das hiesige Wirtschaftsklima ist im April auf ein 16-Monats-Tief gefallen. Eine neue Pleitewelle rollt. Im Schnitt schließen seit Anfang dieses Jahres jeden Tag 59 Firmen, mehr als 8500 könnten es bis Juli sein. Der Abzug der Gelder von den Banken setzt sich fort, Investoren zögern, die Arbeitslosigkeit verharrt auf Rekordniveau. Im März waren 25,6 Prozent der Griechen ohne Job. Die Zahl der Beschäftigten ging im Vergleich zum Vormonat Februar um landesweit 16.092 zurück.

Fakt ist: Für fast alle Krisenopfer hat sich unter der Regierung Tsipras nichts verbessert. Ein Beispiel: die Familie Liounis aus dem gutbürgerlichen Athener Vorort Halandri. Vater Panagiotis Liounis, 55, von Beruf Drucker, erhielt 2011 die Kündigung. Jetzt schlägt sich der Brotbringer der Familie als Hausmeister durch, sein Gehalt rutschte von 2500 Euro auf ein paar Hundert Euro. Er resigniert. "Hier werden nur noch Greise und Kranke zurückbleiben. Wer kann, wird Griechenland verlassen, auf der Suche nach einer besseren Zukunft", sagt er der "Wiener Zeitung".

"Die griechische Realwirtschaft steckt in der absoluten Stagnation", warnt auch Konstantinos Michalos, 55, parteiloser Präsident des Griechischen Verbandes der Industrie- und Handelskammern mit 765.000 Mitgliedern. "Wir sehen keinen nationalen Wachstumsplan, keinerlei Anreize für den Privatsektor. Ich fürchte, der Zug ist entgleist."

Während der Privatsektor in Hellas kollabiert, feiern die von der Athener Vorgängerregierung unter Ex-Premier Antonis Samaras entlassenen und suspendierten Beamten unter Tsipras hingegen ein Comeback. Der griechische Staatsapparat wird in diesen Tagen um 5645 Personen aufgestockt.

Zu den von der Regierung Tsipras in einer ihrer ersten Amtshandlungen wieder eingestellten Staatsdienern zählen neben den berühmten 595 Putzfrauen des Athener Finanzministeriums noch 1500 Lehrer, 500 Uni-Verwaltungsangestellte, 1500 Schulwächter, 1500 Kommunalpolizisten sowie 50 Angestellte der Touristenbehörde EOT. Kostenpunkt für den Steuerzahler: 23 Millionen Euro pro Jahr.