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Zurück zum EU-Gegenwind

Von Alexander Dworzak

Politik
ap/Wigglesworth

In Großbritannien werden Austrittsbefürworter aus den Reihen der Tories wieder lauter.


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London/Wien. David Cameron gilt als Politiker, der ohne viele Prinzipien auskommt. Diese Wandlungsfähigkeit, gepaart mit Gespür für die öffentliche Meinung, bescherte Großbritanniens Premier bei den Unterhauswahlen vor einem Monat einen fulminanten Wahlsieg. Seitdem halten seine Tories wieder die absolute Mandatsmehrheit und sind nicht auf einen Koalitionspartner wie zuletzt die Liberaldemokraten angewiesen. Bequemer ist das Regieren für Cameron dennoch nicht geworden, schließlich muss er in der kommenden Legislaturperiode sein großes Wahlversprechen einlösen: das Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union, das spätestens im Jahr 2017 abgehalten wird. Den Grundstein dafür legte das Unterhaus am späten Dienstagabend, als 544 Abgeordnete für ein Referendum stimmten. 43 waren dagegen.

Der ideologisch elastische Regierungschef macht klar, dass er das Königreich weiter in der EU sehen möchte - nicht aus eigener Überzeugung, sondern aus Furcht um den Wirtschaftsstandort. Schließlich würde Großbritannien verschiedenen Studien zufolge bei einem Austritt bis zu fünf Prozent seiner Wirtschaftsleistung einbüßen. Ganz abgesehen von den Sorgen der Finanzindustrie in der City of London, die dann plötzlich im sprichwörtlichen Abseits des europäischen Wirtschaftsraum stehen würde.

Um Standfestigkeit zu beweisen, verkündete Cameron am Rande des G7-Gipfels Ende vergangener Woche, Minister in seinem Kabinett müssten seinen europapolitischen Kurs teilen. Schon alleine diese Ansage genügte, um unter parteiinternen Kritikern einen Sturm der Entrüstung loszutreten. Cameron knickte sogleich ein. Der Premier sprach von einem Missverständnis, denn gemeint sei lediglich gewesen, während der Verhandlungen mit der EU sowie den Regierungschefs der Union zur Durchsetzung britischer Sonderwünsche sollten die Minister auf Linie sein. Eine Erklärung, die dem "1922 Committee" nicht genügt. Dabei handelt es sich um einen einflussreichen Zusammenschluss konservativer Abgeordneter im britischen Unterhaus. Deren Vorsitzender Graham Brady verlangt in der Zeitung "Daily Telegraph", Minister und Abgeordnete dürften in der Abstimmung einzig von ihrem Gewissen geleitet sein.

Auch Ex-Minister rebellieren

Neben dem traditionellen "1922 Committee" formiert sich in einer völlig neuen Gruppierung innerhalb der Tories Unmut: Die "Conservatives for Britain" (CfB) treten offen für den Austritt aus der EU ein, falls Cameron der EU keine substanziellen Zugeständnisse abringt. Sie legen die Latte aber bereits jetzt unerreichbar hoch: So sollen die Londoner Parlamentarier künftig jedes EU-Vorhaben beeinspruchen können.

CfB kann auf die Unterstützung von mindestens 50 der 331 konservativen Abgeordneten im Unterhaus zählen. Zu den Unterstützern gehören auch zwei Ex-Minister: John Redwood leitete in den 90ern unter Premier John Major das für Wales zuständige Ressort. Und Owen Paterson war sogar unter Regierungschef Cameron tätig; erst als Nordirland-, später als Umweltminister.

Aus vier Hauptthemen besteht Camerons Verhandlungsagenda dem Vernehmen nach: Migranten aus anderen EU-Ländern erhalten erst nach vier Jahren Sozialleistungen. Die Staaten der Eurozone dürfen die Nicht-Mitglieder der Gemeinschaftswährung in Fragen des gemeinsamen Marktes nicht überstimmen. Zudem erhält Großbritannien eine Ausnahmeregelung vom historischen EU-Ziel einer immer engeren Union. Und schließlich können nationale Parlamente in akkordierten Aktionen künftig EU-Gesetzesvorhaben blockieren.

Um die Briten in der Union zu behalten, werden Brüssel und insbesondere Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel Zugeständnisse machen, sind sich Experten einig. Denn Cameron braucht herzeigbare Erfolge, um bei den britischen Wählern im Vorfeld der Abstimmung zu punkten. Fraglich ist allerdings nicht nur, wie weit diese gehen, sondern auch, in welcher Form die Kompromisse festgeschrieben werden. Schließlich müsste bei gravierenden Änderungen der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union geändert werden - wofür wiederum Einstimmigkeit unter allen EU-Ländern notwendig ist.

Dänisches Modell für Briten?

In 10 Downing Street tüftelt daher Mats Persson, früherer Chef des Think Tank "Open Europe" an einem Plan für Cameron, so der "Guardian". Die Regierung hoffe demnach auf eine "Dänische Lösung". Die Skandinavier beantragten bei Abschluss des Vertrags von Maastricht 1992 eine Klausel, wonach sie nicht verpflichtet sind, den Euro einzuführen. Eine nachträgliche Vertragsänderung via Protokoll wäre, was sich Cameron gegenüber seinen innerparteilichen Kritikern so wünscht: eine "wasserdichte" Lösung.