Ärztekammer verlangt Überdenken des Pakets. | Rechnungshof begrüßt Reform. | Wien. Wirtschaftskammer und ÖGB haben im April der Regierung ihr Konzept zur Gesundheitsreform vorgelegt. Mit Ausnahme des Einfrierens der Pauschalzahlungen der Sozialversicherung an die Länder zur Spitalsfinanzierung, hat die Regierung dieses Sozialpartner-Konzept in Begutachtung geschickt.
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Experten kritisieren vor allem, dass die Spitalsfinanzierung gar nicht betroffen ist von der Reform und somit auch das langfristige Ziel einer Finanzierung aus einer Hand noch fern ist.
Nach nur zwei Wochen endete am Dienstag um 24 Uhr die Begutachtungsfrist. Schon am 4. Juni soll die Gesundheitsreform vom Ministerrat abgesegnet werden.
Die Ärztevertreter haben überhaupt kein Verständnis dafür, dass für sie so einschneidende Maßnahmen "in zwei Wochen durchgepeitscht werden, während Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky das Anti-Rauch-Gesetz eineinhalb Jahre verschoben hat", sagte der Vizepräsident der Wiener Ärztekammer, Johannes Steinhart, am Dienstag zur "Wiener Zeitung". Trotz des Treffens zwischen Ärztekammerpräsident Walter Dorner und Finanzminister Wilhelm Molterer und weiterer geplanter Gespräche mit Kdolsky hält die Ärztekammer an ihrem Aktionsfahrplan fest.
Am Dienstag Abend versammelten sich rund 1500 Wiener Ärzte im Austria Center. Auch die Großdemonstration am 3. Juni zum Bundeskanzleramt findet wie geplant statt.
"Wir verlangen für das gesamte Paket: Zurück an den Start", sagt Steinhart. Zwei Punkte treiben die Ärzte auf die Barrikaden:
* Kassenverträge mit Ärzten sind auf fünf Jahre befristet.Ärzte sollen demnach künftig nur Anspruch auf Vertragsverlängerung haben, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Diese werden im Gesetzesentwurf aber nicht genannt, sondern sollen von Kdolsky per Verordnung definiert werden. "Das wird nur gemacht, um ein Terrorinstrument gegen die Ärzte zu haben", sagt Steinhart. Er sieht darin eine Existenzbedrohung für Arztpraxen und langfristig eine Rationierung.
Die Ärzte lehnen jede Befristung, die auf einem Kriterienkatalog beruht, strikt ab, sagt Steinhart. Wenn etwa "Ergebnisqualität" eingefordert werde, sei zu befürchten, dass alte und Risikopatienten abgeschoben würden, weil ihre Lebenserwartung gering sei.
Die Ärzte haben eine wirksame Qualitätskontrolle. Es gebe keine andere Berufsgruppe, die soviel Weiterbildung einfordere, sagt Steinhart.
Rechnungshofpräsident Josef Moser begrüßt diese Regelung zwar, wünscht sich aber mehr Rechtssicherheit für die Ärzte, etwa die Festlegung der Kriterien zur Vertragsverlängerung im Gesetz. Damit würden die Ärzte mehr Planungssicherheit erhalten, andernfalls würde deren "Investitionsbereitschaft" gefährdet.
* Möglichkeit zu Einzelverträgen.Die Gebietskrankenkassen schließen mit den Landesärztekammern für einen bestimmten Zeitraum Gesamtverträge ab, die von Zeit zu Zeit (ähnlich wie Tarifverträge für Gehälter) neu ausverhandelt werden. Wenn sich die Partner nicht einigen können, entsteht ein vertragsloser Zustand - die Patienten bezahlen dann die Arztrechnung selbst und bekommen bis zu 80 Prozent von der Kasse ersetzt. Die Reform sieht nun auch Einzelverträge vor. "Ich verstehe nicht, dass der Gesamtvertrag von der Gewerkschaft ausgehöhlt wird", sagt Steinhart. Für ihn wie auch für Dorner ist dieser Punkt nicht verhandelbar. "Streik entspricht überhaupt nicht unserem Naturell, aber wenn es sein muss, bleiben die Ordinationen ab 16. Juni geschlossen", sagt Steinhart.
Auch RH-Präsident Moser, für den die Gesundheitsreform in die richtige Richtung geht, will sichergestellt wissen, dass Einzelverträge nur im Fall eines vertragslosen Zustandes möglich sind.
* Aut-idem-Regelung (ab 2010). Ärzte verschreiben den Wirkstoff, Apotheker geben das günstigste Medikament ab, wobei Ausnahmen für chronisch Kranke möglich sind. Ein Einsparungspotenzial sieht Steinhart nur ohne Ausnahmeregelung. Denn es gebe etwa 16.000 Ordinationen in Österreich. Jeder Arzt schaue schon jetzt auf eine Liste und suche das günstigste Medikament aus. "Wir fahren dieses Programm also schon. Aber jeder Arzt muss wissen, was der Patient einnimmt", sagt Steinhart. Andernfalls müsse man auch die Verantwortlichkeit in Frage stellen.
Der Rechnungshof unterstützt den Sozialpartnervorschlag, vermisst aber eine Kosten-Nutzen-Analyse. Das eingeplante Sparpotenzial von 35 Millionen Euro sei nicht nachzuvollziehen, sagt Moser.
* Patientenquittung. Der Rechnungshof wünscht sich hier eine Evaluierung der Auswirkungen der schon seit 2004 an die Patienten verschickten Leistungsblätter der Sozialversicherung.
* Umstrukturierungen im Hauptverband.Dieser Punkt scheint die größten Allianzen zustandezubringen. Einige Gewerkschafter protestieren bereits lautstark gegen den Machtverlust der Arbeitnehmer- zugunsten der Arbeitgebervertreter, die im Kontrollgremium der Kassen mehr Rechte erhalten sollen. In den neun Gebietskrankenkassen (sieben SPÖ, zwei ÖVP) selbst, wo es derzeit nur einen Direktor gibt, soll künftig ein zweiter Direktor (voraussichtlich von der jeweils anderen Partei) werken.
Die Ärztekammer unterstützt hier die Gewerkschafter - darunter auch Beamtengewerkschafts-Chef Fritz Neugebauer (ÖVP). Die Zentralisierung des Hauptverbands in eine Holding mit Durchgriffsrecht auf die Kassen trage nichts zur Qualitätssicherung bei, kritisiert Steinhart. Er sieht diese Reform insgesamt als Umstellung des Gesundheitssystems von "bestmöglich auf billigstmöglich".
Der RH hält eine stärkere Steuerungs- und Richtlinienkompetenz des Hauptverbands für "zweckmäßig". Das Ziel eines einheitlichen Leistungskatalogs für alle Kassen sei aber nicht vorgesehen, was Moser kritisiert. Er warnt, dass Verfassungswidrigkeit vorliegen könnte, weil im Verwaltungsrat der Holding zwar sechs Arbeitgeber- und sechs Arbeitnehmervertreter sitzen würden, aber kein Vertreter der Gebietskrankenkassen. Der VfGH habe bereits 2003 entschieden, dass die Organe der Selbstverwaltung aus den Reihen der Mitglieder bestellt werden müssen.
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