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Zurück zur Häuserzerstörung

Von WZ-Korrespondent Andreas Schneitter

Politik

Israel hat Strafmaßnahmen gegen palästinensische Attentäter eingeleitet.


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Tel Aviv. Am Tag danach öffnete die Bnei-Torah-Synagoge im Westen von Jerusalem wieder. Rund 30 Gläubige fanden sich zum Morgengebet ein, unter ihnen demonstrativ der israelische Wirtschaftsminister und Führer der Rechtspartei "Das Jüdische Heim", Naftali Bennett. Sie alle passierten die zwei Wachen, die seit dem Anschlag am Dienstag vor dem Eingang der Synagoge postiert sind. Die Zahl der Toten stieg auf fünf: Ein Polizist drusischer Herkunft erlag seinen Verletzungen. Wie die vier jüdischen Opfer wurde auch er bereits beerdigt, an der Zeremonie im Norden Israels nahm auch Staatspräsident Reuven Rivlin teil.

Dessen Regierungschef Benjamin Netanyahu kündigte auf den bisher schwersten Anschlag in den unruhigen vergangenen Wochen in Jerusalem eine Reaktion mit "harter Hand" an. Erste Konsequenzen sind bereits sichtbar: In Ostjerusalem errichtete das Militär Straßensperren zwischen den jüdischen und arabischen Vierteln, insbesondere um Jabal al-Mukaber im Südosten der Stadt. Von dort kamen die beiden Attentäter, die Cousins Ghassan und Uday Abu Jamal. Bereits kurz nach dem Anschlag verhaftete die Polizei zwölf ihrer Familienmitglieder, neun sind mittlerweile wieder frei. Drei Brüder befinden sich noch in Haft.

Israel will zudem die Praxis der Zerstörung der Häuser von Attentätern und ihren Familien wieder aufnehmen. Dies beschloss das Sicherheitskabinett der Regierung unter Einbezug des Jerusalemer Bürgermeisters Nir Barkat - und ließ es gleich in die Tat umsetzen. In Silwan, am südwestlichen Hang des Jerusalemer Altstadthügels, hat die Armee das Haus von Abdel Rahman al-Sahludi zerstört und teilweise abgerissen. Al-Sahludi fuhr vor drei Wochen mit seinem Auto in eine Gruppe Menschen, die an einer Haltestelle der Straßenbahn warteten, und riss zwei von ihnen in den Tod.

Wenig effiziente Maßnahme

Vier Familien lebten in dem Haus und verloren damit ihr Heim. Die Strafmaßnahme wird von internationalen wie israelischen Menschenrechtsorganisationen kritisiert. So verurteilte die in Jerusalem ansässige Organisation "B’Tselem" die Zerstörungen umgehend als "Kollektivstrafe", durch die Unschuldige für die Vergehen anderer mitbüßen.

Der Entscheid der Regierung, wieder zur Zerstörung von Häusern zwecks Abschreckung zu schreiten, ist bemerkenswert. Vor allem während der zweiten Intifada hat die israelische Armee regelmäßig die Häuser von Selbstmordattentätern und ihren Familien eingerissen, 2005 die Praxis jedoch aufgegeben: Ein Militärbericht kam zum Schluss, dass die Zerstörungen sich nicht als taugliches Mittel erwiesen hätten, um zukünftige Attentäter abzuschrecken. Auch wenn der Oberste Gerichtshof Israels die Strafmaßnahme mehrmals guthieß und verfügte, dass Hausbewohner ihre Einwände gegen den Beschluss vorlegen können und mindestens 48 Stunden Zeit hätten, ihren Besitz aus dem Haus zu räumen, wurde diese Form der Vergeltung die letzten Jahre nicht mehr ausgeübt. Ob der Abschreckungsgrad nun wieder höher sein wird, dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Allerdings hat nicht Israel dieses Strafmittel im Heiligen Land eingeführt. Hauszerstörungen sind ein Erbe der Rechtslage der britischen Mandatszeit in Palästina, die mit dem UN-Teilungsbeschluss 1947 ihr Ende fand. Zwei Jahre zuvor hatte die britische Verwaltung dieses Rechtsmittel zugunsten des lokalen Militärbefehlshabers als Bestandteil einer Reihe von Notstandsrechten erlassen - und bis zum Ende der Mandatszeit formell nie aufgehoben. Wie andere Gesetzesteile britischen Ursprungs hat Israel auch diesen Beschluss in sein Rechtssystem übernommen.

Erneute Spannungen

Der erneute Einsatz sowie die verschärften Straßensperren haben am Mittwoch zu wieder aufflammenden Spannungen in Ostjerusalem zwischen Jugendlichen und der Polizei geführt. Auch dagegen will die Regierung mit neuen Beschlüssen vorgehen: Künftig sollen die Eltern von Jugendlichen, die während Demonstrationen verhaftet werden, bestraft werden.

Die Gewalt geht auch außerhalb von Jerusalem weiter: Laut palästinensischer Nachrichtenagentur Maan wurde nördlich der Stadt ein arabischer Mann von einer Gruppe Israelis niedergestochen und lebensgefährlich verletzt. Im Norden der Westbank haben jüdische Siedler vorbeifahrende Autos auf der Straße nach Nablus mit Steinen beworfen.

Regierungschef Netanyahu ist seit dem Anschlag noch stärker unter Druck: Sein Koalitionspartner Bennett, der Netanyahu im Amt beerben möchte, hat im israelischen Militärradio gefordert, Israel müsse von der Defensive in die Offensive wechseln. "Anstatt nun Sicherheitspersonal vor jeden Kindergarten und jede Synagoge zu stellen, müssen wir zur Quelle der Gewalt", sagte der Rechtsaußen-Politiker. Bennett fordert eine andauernde Militäroperation im Westjordanland, "um den Terror auszurotten", und nimmt damit implizit eine verschärfte Besetzung der Palästinensergebiete in Kauf. Dies wäre ein weiterer Schlag für den ohnehin festgefahrenen Friedensprozess.

Dem Kurs des Premiers widerspricht zudem der Chef des Inlandgeheimdienstes Shin Bet, Yoram Cohen. Im Unterschied zu Netanyahu und seinem Außenminister Avidgor Lieberman, die Palästinenserpräsident Abbas als "Anstifter" für den jüngsten Terroranschlag bezeichneten, soll Cohen bei einem Treffen des Sicherheitskabinetts erklärt haben, dass weder Abbas noch die politische Führungsriege Palästinas Interesse an einem erstarkenden Terrorismus hätten. Cohen warnte zudem davor, den Status des Tempelbergs zu verwalten.

Dieser war in den vergangenen Wochen Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und der Polizei. Seit in den vergangenen Jahren vermehrt Juden den Tempelberg trotz rabbinischen Verbots besuchen, befürchten Muslime, dass Israel den Status quo des Areals ändern wolle. Seit die israelische Armee 1967 die Altstadt eingenommen hat, überließ sie den Tempelberg mit der Al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom einer islamischen Verwaltung, während die darunterliegende Klagemauer von Juden besucht wird. Israel hat in den vergangenen Wochen infolge der verstärkten Gewalt mehrmals den Zugang zum Tempelberg abgesperrt.