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"Zusammenhalt in FPÖ ist erstaunlich hoch"

Von Daniel Bischof

Politik

Politologe Kurt Richard Luther über die Zukunft des Rechtspopulismus, die Aussichten für die FPÖ und die ÖVP-Dominanz.


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Seit Auftauchen des Ibiza-Videos befindet sich die FPÖ in der Dauerkrise. Eine Wahl nach der anderen geht verloren, bei der Wien-Wahl droht ein Totalabsturz. Wohin sich die Partei danach entwickeln könnte, darüber sprach die "Wiener Zeitung" mit dem englischen Politikwissenschafter Kurt Richard Luther.

"Wiener Zeitung": Herr Luther, die FPÖ fährt derzeit massive Wahlniederlagen ein. Wohin steuert die Partei?Kurt Richard Luther: Die Aussichten für den Rechtspopulismus sind deutlich besser, als man derzeit glaubt. Die Zeichen für die FPÖ könnten längerfristig gut stehen.

Warum?

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise werden europaweit die Nachfrage nach populistischen Lösungen wachsen lassen. Die FPÖ dürfte davon profitieren - vor allem durch jene Wähler, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden.



Bisher schossen aber vor allem die Umfragewerte der ÖVP hinauf.

In Zeiten nationaler Krisen ist zwischen den kurz- und langfristigen Folgen zu unterschieden. Anfänglich steigen die Umfragewerte der Regierungsparteien, da diese medial viel präsenter sind. Meist bemüht sich die Regierung auch um überparteiliche Botschaften, die kollektive Interessen betonen. Die Wähler sind besorgt und wenden sich den Parteien zu, die ihrer Meinung nach Sicherheit bieten.

Womit ist längerfristig zu rechnen?

Insbesondere Populisten profitieren von wirtschaftlichen Krisen. Bei der Finanzkrise 2008 waren sie etwa in der Lage, die Rezession für ihren Erfolg zu instrumentalisieren. Möglichkeiten dazu boten etwa der Diskurs um die Staatsschuldenkrise und Rettungspakete in der Eurozone. In der Corona-Krise könnte nun die weitere Debatte um den EU-Wiederaufbaufonds ein Äquivalent dazu werden. Aber es gibt natürlich auch Unterschiede zwischen diesen Krisen.

Welche?

Die Kehrseite für die FPÖ ist derzeit die Dominanz der ÖVP. Die Volkspartei nimmt nun eine viel migrationskritischere und EU-skeptischere Haltung als damals ein. Das hat sich beim Konflikt um den Wiederaufbaufonds im Mai oder die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland gezeigt. Das erschwert es der FPÖ, sich wieder aufzubauen, und wird von der ÖVP auch so geplant.

Derzeit scheint diese ÖVP-Dominanz nicht gefährdet.

Die Dominanz der ÖVP beruht auf zwei an sich inkongruenten Elementen. Einerseits auf der maßgeblich durch den Zuzug ehemaliger FPÖ-Wähler erweiterten türkisen Wählerschaft. Andererseits ist die Volkspartei der dominante Teil in der türkis-grünen Regierung. Beide Bereiche sind längerfristig aber weder einzeln noch in Kombination gesichert.

Wo sehen Sie Gefahren für die ÖVP?

Die Wählervolatilität ist höher denn je, gerade bei Wählern, die für populistische Rhetorik anfällig sind. Sie neigen dazu, ihr Wahlverhalten rasch zu wechseln - je nachdem, wie sich ihr Unbehagen, das durch die vielen Krisen ausgelöst wurde, auswirkt. Zudem gibt es ein großes Potenzial für Konflikte innerhalb der Koalition: Die Grünen bemerken zunehmend, dass sie relativ wenig bewegen können, wie etwa jetzt bei der Flüchtlingsaufnahme aus Griechenland. Das könnte sich durch die Corona-Krise verschärfen.

Inwiefern?

Wenn der öffentliche Fokus nicht mehr so stark auf das Virus gerichtet ist, werden die Reizthemen Migration und Sicherheit verstärkt auftauchen. Hinzu kommt, dass die Akzeptanz der Regierungspolitik durch die Grünen auf Zugeständnissen der ÖVP beim Umwelt- und Klimaschutz beruht. Versucht die ÖVP, aufgrund der Wirtschaftskrise etwa die Umweltstandards aufzuweichen, kann das die Regierung gefährden. Darum ist die Allianz nicht unbedingt stabil.

Nicht nur die ÖVP-Dominanz macht der FPÖ zu schaffen. Ihr Ex-Chef Heinz-Christian Strache hat in Wien eine Splitterpartei gegründet. Wie sehr wird das den Freiheitlichen schaden?

Im freiheitlichen Lager gibt es öfters Parteineugründungen, die sich als alternatives Angebot für rechtspopulistische Wähler zu positionieren versuchen. Doch selbst wenn es das Team HC in den Landtag schafft: Für die Zukunft der FPÖ und des österreichischen Rechtspopulismus wird das nicht entscheidend sein. Denn was will Strache im Landtag? Er hätte dann Geld und eine öffentliche Plattform. Aber mehr nicht.

Könnte er das nicht nützen, um seine Partei bundesweit auf Kosten der FPÖ zu stärken?

Außerhalb von Wien gab es bei den Freiheitlichen kaum Gruppen, die sich für Strache ausgesprochen haben. Der Zusammenhalt in der FPÖ ist erstaunlich hoch. Das ist ein markanter Unterschied zu früheren Phasen. Man darf nicht zu sehr auf die Wien-Wahlen blicken und muss das Ganze aus einer breiteren Perspektive betrachten. Seit ich im Jahr 1985 die FPÖ zu erforschen begann, wurde ihr der Untergang prophezeit. Jetzt, 35 Jahre später, besteht weiterhin eine Nachfrage nach der Partei. Sie wird alle Anstrengungen unternehmen, um davon zu profitieren.



Auffällig ist, dass Rechtspopulisten bei weitem nicht die Einzigen sind, die gegen die Corona-Maßnahmen protestieren. In Deutschland marschieren bei den Demos neben besorgten Unternehmern beispielsweise auch Verschwörungstheoretiker und Extremisten mit. Könnte aus dieser Protestbewegung auch eine politische Bewegung entstehen?

Eine Bündelung dieser sehr unterschiedlichen Kräfte in einer einzigen Partei halte ich für unwahrscheinlich. Derzeit dient das eher dem wechselseitigen Hochschaukeln: Je mehr Menschen an den Protesten teilnehmen, desto mehr fühlen sich die Teilnehmer unterstützt und als Teil von etwas Größerem. Eine Partei ist aber mehr: Sie hat ein Statut, gemeinsame Ziele und Kandidaten.

Es fehlt außer dem Corona-Thema an weiteren gemeinsamen Nennern?

Ja. Schon die Rechtspopulisten haben Probleme bei einer einheitlichen Linie - wie soll da eine Zusammenarbeit mit Linkspopulisten, deren Erzfeinden, funktionieren?