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Zustände in Haiti wecken Erinnerungen an "Pap Doc"

Von Ines Scholz

Politik

Wien - Als der einstige Armenpriester und erste frei gewählte Präsident Jean-Bertrand Aristide nach einem Armeeputsch 1994 unter dem Schutz von 20.000 US-Soldaten nach dreijährigem Exil wieder in den Präsidentenpalast von Port-au-Prince zurückkehrte, feierten die Haitianer den Aufbruch in ein neues Zeitalter. Nach 29 Jahren Duvalier-Schreckensherrschaft und einer Reihe ebenso korrupter wie brutaler Nachfolgeregime, die das Land wirtschaftlich ausgeblutet und jeden Widerstand mit Terror und Mord im Keim erstickt haben, sollte nun endlich eine demokratische Führung Einzug halten, die sich den Interessen des Volkes verpflichtet fühlt. Doch mittlerweile hat sich Ernüchterung breit gemacht. Seit drei Jahren blockieren Eitelkeiten und Diadochenkämpfe in den oberen Riegen von Aristides Lavalas-Bewegung das politische System. Die Hoffnung auf ein Ende der Regierungskrise richtet sich nun auf die für Sonntag angesetzten Parlamentswahlen. Eine zweite Runde folgt am 25. Juni.


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Die Wahlplattform, die ursprünglich auch Aristides neuerliche Kandidatur für das Präsidentenamt im Dezember unterstützen sollte, brach mittlerweile am mangelnden Reformwillen der Aristide-Partei auseinander: viele, die gemeinsam mit dem ehemaligen Salesianer-Priester gegen die Duvalier-Diktatur gekämpft hatten, wandten sich von ihm ab. Nicht alle. Noch-Staatschef und enger Vertrauensmann Aristides, René Preval, der die Parlamentswahl bis zur nächsten Präsidentenkür im Dezember hinausschieben wollte, um Aristides Popularität gleichzeitig in einen Mandatserfolg der Fanmi-Lavalas ummünzen zu können, wurde durch internationalen Druck und Proteste der Opposition gezwungen, die Parlemantswahlen schließlich doch schon im Frühjahr anzusetzen.

Für die dreimalige Aufschiebung des Urnengangs hatte Preval, den Einflüsterungen seines Mentors gehorchend, vor allem logistische Probleme verantwortlich gemacht. Doch die internationalen Wahlbeobachter vor Ort wiesen dieses Argument zuletzt vehement zurück: 90 Prozent der Wahlberechtigten hätten ihre Wahlkarten bereits erhalten.

Preval, der bereits am 11. Jänner 1999 das Parlament aufgelöste hatte und seither per Dekret regiert, blieb nicht viel übrig, als grünes Licht zu geben. Jüngst bekräftigte auch noch der Westen unüberhörbar, eine halbe Milliarde Dollar an Entwicklungshilfekrediten solange blockieren zu wollen, bis das ärmste Land der westlichen Hemisphäre zu einer allgemein anerkannten, demokratisch abgestützten Regierung zurückfindet.

Eine hohe Wahlbeteiligung am Sonntag gilt als sicher, nachdem in einer von ECOSOF durchgeführten Befragung gar 81 Prozent der Wahlberechtigten angaben, von ihrer Wahlkarte tatsächlich Gebrauch machen zu wollen.

Gute Chancen für die einstigen Gefährten

Die OPL ("Organisation du Peuple en Lutte") rangiert laut letzten Umfragen mit 26 Prozent nur knapp hinter dem in der Wählergunst stark gesunkenen Aristide-loyalen Fanmi-Lavalas-Flügel (FL) (33 Prozent). Für die OPL könnte sich gemeinsam mit den beiden Oppositionslisten MOCHRENA und "Espace de Concertation" eine regierungsfähige Mehrheit die Regierung ausgehen.

In Haiti war es im Vorfeld der Wahlen zu einer Welle der Gewalt gekommen, wie man sie bisher nur aus der Duvalier-Ära kannte. Die Opposition einschließlich der OPL warfen dem früheren Salesianerpater Aristide vor, vor den Wahlen ein Klima der Verunsicherung zu schaffen, um die wenigen Fortschritte zunichte zu machen, die in den vergangenen Jahren in Sachen Demokratie erzielt wurden. Noch direkter drückte sich ein ehemaliger Minister aus: Aristide wolle den "Sieg für sich allein".

Paramilitärische Killerbanden halten Haiti in Atem

Vor sechseinhalb Wochen wurde mit Jean Leopold Dominique eine der kritischsten Stimmen des Landes durch einen Mordanschlag zum Schweigen gebracht. Der 69-Jährige war weit über Haiti hinaus als Verfechter der Demokratie in dem bitterarmen Karibikland bekannt.

Unter der Duvalier-Dynastie war einer seiner Brüder ermordet und er selbst zum Leben im Exil gezwungen worden. Erst unter Aristide kehrte er in seine Heimat zurück. Als ein riesiger Trauerzug ihn zu seiner letzten Ruhestätte begleitete, brannten militante La-Fanmi-Anhänger aus Protest gegen soviel Solidarität das Büro der "Espace pour Concertation" nieder.

Im März streckte ein Killerkommando Senator Iven Toussaintvor seinem Haus nieder. Der OPL-Politiker galt seit geraumer Zeit als einer der offensten Kritiker von Aristide. Die größte, linksorientiert Oppositionspartei sagte vorsichtshalber eine Massenkundgebung zum Andenken an den Jahrestag der neuen Verfassung ab, die 1987, ein Jahr nach der Vertreibung Jean-Claude Duvaliers - besser bekannt als "Baby Doc" - verabschiedet worden war. Merilus Deus, Kandidat in Savanette für die am Sonntag parallel laufenden Kommunalwahlen, wurde von bewaffneten Männern gekidnapped und zerhackt. Seine Leiche wurde wenige Tage später ebenso wie die von Claudy Myrthil entdeckt.

Dass sich Aristide eine Privatarmee nach dem Vorbild der einstigen Duvalierschen Schlägerbanden "Tontons Macoutes" hält, gilt in Port-au-Prince als offenes Geheimnis. Die gehassten militanten Fanmi-Anhänger haben in der Bevölkerung auch schon lang einen Namen: "Chimés".