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Zuwanderung finanziert Sozialstaat

Von Petra Tempfer

Politik

Die Bevölkerung wächst und altert. Ohne Zuwanderung würde die Anzahl der Erwerbstätigen bis 2080 massiv schrumpfen.


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Wien. Politiker debattieren seit Jahren das Pensionssystem, Experten grübeln über mögliche Lösungen, und währenddessen wächst die Problematik weiter heran: Österreichs Bevölkerung vergrößert sich und altert. Die Anzahl der Erwerbspersonen steigt allerdings nur geringfügig an - die Frage, wer in Zukunft die Pensionen zahlen wird, ist manifest.

Gäbe es keine Zuwanderung nach Österreich, wären die Zukunftsszenarien allerdings viel dramatischer. Das zeigt die aktuelle Bevölkerungsprognose bis zum Jahr 2080 der Statistik Austria, die diese am Donnerstag präsentiert hat. Die Anzahl der Erwerbspersonen wird demnach bis 2080 um fünf Prozent steigen. Ohne Zuwanderung würde sie hingegen bis 2050 um 17 Prozent und bis 2080 um 35 Prozent schrumpfen. Die Hälfte der im Vorjahr rund 150.000 zugewanderten Personen kam aus der Europäischen Union und der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta). Für rund 40 Prozent ist aufgrund der guten Jobaussichten und Ausbildungsmöglichkeiten das Ballungszentrum Wien das Ziel. Das geht mit einer sinkenden Bevölkerungszahl in Kärnten einher: Bis 2080 soll diese um 3,8 Prozent schrumpfen.

Die Fertilitätsrate wird leicht steigen

Insgesamt soll die Bevölkerung von 8,8 Millionen Einwohnern im Vorjahr auf 10 Millionen im Jahr 2080 anwachsen, was einem Plus von 13 Prozent entspricht. 2022 soll die Neun-Millionen-Marke erreicht sein. Im Vorjahr war man noch von einem etwas stärkeren Wachstum infolge der jährlichen Wanderungsgewinne ausgegangen, aufgrund der aktuellen Entwicklung habe man die Prognose jedoch etwas nivelliert, sagte Conrad Pesendorfer, Generaldirektor der Statistik Austria. Die Fertilitätsrate soll von aktuell 1,52 Kinder pro Frau auf 1,6 Kinder 2080 steigen.

Schlüsselt man die Bevölkerungsstruktur ihrem Alter entsprechend im Detail auf, ergibt sich nun folgendes Bild: Während der Anteil der bis 64-Jährigen relativ konstant bleibt, steigt jener der über 65-Jährigen unverhältnismäßig stark an. Oder anders formuliert: Bildeten die über 65-Jährigen im Vorjahr noch rund 19 Prozent der Bevölkerung, so werden es 2080 laut Statistik Austria 29 Prozent sein. Das Durchschnittsalter wird sich in diesem Zeitraum von 42,5 auf 47,2 Jahre verschieben.

Unter den Pensionisten werden dann freilich auch Menschen, die zugewandert sind, sein. Der Großteil des Anstiegs der Arbeitskräfte werde jedoch ebenfalls mit internationaler Zuwanderung abgedeckt, sagte Pesendorfer. Insgesamt gehe man dem Trend folgend davon aus, dass deutlich mehr ältere Personen und Frauen arbeiten werden.

Die Anzahl der Erwerbspersonen, die älter als 55 Jahre sind, werde sich von 2017 bis 2050 um mehr als die Hälfte von 0,69 Millionen auf 1,06 Millionen erhöhen, präzisierte Alexander Hanika, der die Prognose erstellt hat. Das entspreche einem Anwachsen des Anteils Älterer an der gesamten Erwerbsbevölkerung von 15 Prozent auf 22 Prozent. Gleichzeitig sinke jener der Erwerbspersonen im Haupterwerbsalter (35 bis 45 Jahre). Lag der Anteil der Frauen an den Erwerbspersonen 2017 noch bei 46,6 Prozent, wird sich dieser bis 2050 auf rund 49 Prozent erhöhen.

Hohe Erwerbsbeteiligung mit entsprechenden Einkommen

Langfristig werden künftig rund vier von fünf Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren am Arbeitsmarkt aktiv sein. Die allgemeine Erwerbsquote, also der Anteil der Erwerbsfähigen an der Gesamtbevölkerung, steigt von 76 Prozent im Jahr 2017 auf 81,7 Prozent 2080 an. Dass die Erwerbsquote in den vergangenen 13 Jahren, also von 2004 bis 2017, ebenfalls um sechs Prozentpunkte angestiegen ist und bis 2080 lediglich um den selben Wert wachsen soll, könnte laut Christine Mayrhuber vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) "schon sehr verunsichern". Das Pensions- und Sozialsystem scheint dadurch auf wackeligen Beinen zu stehen.

Prognosen für einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert seien aber immer vage. Denn bereits gesetzte Maßnahmen würden sehr wohl Wirkung zeigen - wie zum Beispiel, das gesetzliche Pensionsantrittsalter für Frauen, das aktuell bei 60 Jahren liegt, von 2024 bis 2034 schrittweise an jenes der Männer (65 Jahre) anzugleichen. Bereits jetzt steige das De-facto-Pensionsantrittsalter an, sagt Mayrhuber im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Bei Frauen liege es bei 59,2 und bei Männern (inklusive Korridorpensionen und Schwerarbeiterpensionen) bei 61,1 Jahren.

Ob die alternde Gesellschaft finanzierbar sein wird, hänge somit von einer "möglichst hohen Erwerbsbeteiligung und möglichst starken Wirtschaft" ab, so Mayrhuber. Dann könne Wohlstand besser verteilt und der Altersarmut entgegengewirkt werden. Ein ganz wesentlicher Punkt dabei sei jedoch, dass es nicht nur um die Anzahl der aktiv am Arbeitsmarkt Beschäftigten gehe, sondern auch um die Höhe von deren Einkommen. "Die Frage, ob eine hohe Erwerbsbeteiligung mit entsprechenden Einkommen einhergeht, ist entscheidend, wenn es darum geht, ob die Finanzierung des Sozialstaats gesichert ist."

Vor allem das Einkommensniveau von Frauen sei aktuell niedrig, weil diese häufig in schlechter bezahlten Branchen wie im Gastgewerbe oder Handel beschäftigt seien. Dazu komme, dass jede zweite erwerbstätige Frau Teilzeit arbeite - von den Frauen mit Kindern unter 15 Jahren sind es drei von vier. Hier spiele die Schaffung entsprechender Kinderbetreuungseinrichtungen eine maßgebliche Rolle, auf lange Sicht müsse man aber den Fokus vor allem auch auf eine gute Qualifikation legen.

"Roboter könnten wegfallende Arbeitskräfte ersetzen"

Diese ist für den Zukunftsforscher Andreas Reiter ebenfalls ausschlaggebend - wenn auch aus etwas anderen Gründen. "Wir wissen zwar noch nicht, was in 60 Jahren alles möglich ist, aber Roboter könnten die wegfallenden Arbeitskräfte ersetzen", sagt Reiter. Daher brauche man auch eine qualifizierte Zuwanderung.

Den steigenden Kosten für die alternde Bevölkerung könnte man mit Abgabensystemen für die Digitalkonzerne oder der viel diskutierten Maschinensteuer, begegnen. Das sei aber - genauso wie die Steuerung der Zuwanderung - eine Frage der Politik.