Um Kosten für die Fußball-WM in Russland zu drücken, sollen Straflager Arbeitskräfte bereitstellen.
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Moskau. Die Zustände in russischen Straflagern sind haarsträubend. Die Baracken sind überfüllt, Schläge, Schlafentzug, katastrophale hygienische Zustände und folterähnliche "Erziehungsmaßnahmen" und Zwangsarbeit sind an der Tagesordnung. Regelmäßig kommt es zu Selbstverstümmelungen von Gefangenen. Eine andere Möglichkeit bleibt ihnen kaum, um auf die unmenschlichen Haft- und Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Erst in der vergangenen Woche schlitzten sich in der Strafkolonie Nr. 2 in ostsibirischen Ortschaft Voschajewka mehrere Dutzend Verurteilte in einer blutigen Protestaktion die Unterarme auf.
Besonders hart in den Strafkolonien sind die Arbeitsbedingungen. 671.000 Häftlinge (Stand Jänner 2015) gibt es in Russland, die höchste Dichte in ganz Europa - in absoluten Zahlen wie auch gemessen an der Einwohnerzahl.Zwei Drittel der weiblichen und 40 Prozent der männlichen Insassensind in Arbeitslagern interniert - und müssen dort bis zu 17 Stunden am Tag für einen Hungerlohn Güter produzieren. Wer mit fünf Euro in der Woche entschädigt wird, zählt schon zu den Glücklichen. Wie im sowjetischen Gulag gibt es Quoten, die erfüllt werden müssen. Obwohl das Gesetz eine maximale Arbeitszeit von acht Stunden täglich und einen freien Sonntag für Insassen vorsieht, würden die Häftlinge gezwungen, bis zu 45 Tage durchzuarbeiten, klagte 2013 die verurteilte Pussy-Riot-Punkerin Dadeschda Tonnokolikowa, die während ihrer Haftzeit für ein Monatsgehalt von 53 Cent Uniformen nähen musste. "Die Gefängnisleitung sieht uns nur als Sklavenarbeiter", so die damals 26-Jährige in ihrem offenen Brief.
Die Ausbeutung von Verurteilten war schon in Sowjetzeiten wichtigster Grundpfeiler des Gulag. Nun soll das System auch dem russischen Staat bei der Fußball-WM 2018 gute Dienste leisten. Um die Baukosten für die Sportanlagen zu senken, schlug ein russischer Politiker deshalb den Einsatz von bis zu 40.000 Gefangenen vor.
Denn das Land kämpft mit einer veritablen Wirtschaftskrise, der niedrige Ölpreis, die von USA und EU verhängten Sanktionen als Antwort auf die Annexion der Krim sowie der Wertverfall des Rubels lassen für heuer einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von rund drei Prozent erwarten. Mit dem Prestigeprojekt WM, für das Russland Ende 2010 den Zuschlag erhielt, hat sich Wladimir Putin finanziell überhoben.
Erst kürzlich war bekannt geworden, dass Russland die mit 50 Milliarden Euro anberaumten Kosten für die Ausrichtung des sportlichen Megaevents auf 35 Milliarden reduzieren will. Das Sportministerium veröffentlichte auf der Internetseite regulation.gov.ru eine Liste von 25 Objekten, die angesichts knapper Ressourcen wegfallen sollen. Allein die Ausgaben für den Bau von Hotels und Unterbringungsmöglichkeiten für die Teams sollen um umgerechnet 435,5 Millionen Euro gekürzt werden.
Arbeit, die andere nicht machen wollen
Wenn es nach dem Willen der Kremlpartei Einiges Russland geht, werden zur Kostenreduzierung auch Häftlinge herangezogen werden. Der Abgeordnete Alexander Chinstejnwill dem Parlament in Kürze einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen. Die Novelle soll ermöglichen, dass sich Sträflinge an anderen bewachten Orten als in Gefängnissen aufhalten dürfen.
Chinstejns Plänen zufolge sollen die Gefangenen in erster Linie bei der Herstellung von Baumaterialien zum Einsatz kommen, nicht auf den Baustellen selbst. Vor allem Privatfirmen sollen auf Strafgefangene zurückgreifen - das Staatsbudget für die WM bleibt mit rund 6 Milliarden Euro ohnehin unverändert.
Im Regelfall würden die Gefangenen laut Chinstejn untertags zu den Produktionsstätten transportiert und in der Nacht wieder in ihre Baracken gebracht. Voraussetzung für den Job sei deren Einverständnis.Zu Sklaven wolle er die Häftlinge nicht machen, versicherte Putins Parteigenosseauf Twitter, zugleich jedoch hieß es, dass es sich um Tätigkeiten handle, die normale Arbeiter nicht machen wollen. Die oberste Gefängnisbehörde hat dem Ansinnen bereits zugestimmt. Kritik kam von der Moskauer Stadtverwaltung, die auf Jobs für Arbeitslose gehofft hatte - und von NGOs, die den Zusicherungen Chinstejns angesichts der Arbeitsrealität in den russischen Gefangenenlagern keinen Glauben schenken.