Ungarn will Roma-Problematik auf EU-Agenda setzen. | Budapest. Irgendwie sind viele Nicolas Sarkozy dankbar. Immerhin hat der französische Staatspräsident das Thema der Roma-Integration auf die internationale Bühne gebracht, auch wenn er es durch die Abschiebung hunderter Menschen aus Frankreich getan hat. Doch hat er den Blick der Öffentlichkeit auf eine Problematik gelenkt, die Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder der Slowakei seit Jahren zu schaffen macht - auf den gesellschaftlichen Ausschluss einer ganzen Bevölkerungsgruppe.
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Auch Ungarn hat damit seine Sorgen: Roma bilden die größte Minderheit in dem Land, schätzungsweise 600.000 bis 700.000 Menschen sind Angehörige der Volksgruppe.
Und wie rumänische oder bulgarische Politiker betonen ihre ungarischen Amtskollegen, dass die Integration von Roma keine nationale sondern eine europaweite Herausforderung ist. Dem Ruf nach gemeinsamen Aktionen - und damit auch finanzieller Unterstützung - kann Budapest nun mehr als andere Nachdruck verleihen. Im kommenden Halbjahr haben die Ungarn nämlich den EU-Vorsitz, und sie wollen das Thema auf die EU-Agenda setzen.
Probleme ungelöst
Es ist, als ob niemand alleine die Verantwortung übernehmen wollte. Und tatsächlich hat es noch kein Land geschafft, die sozialen Probleme zu lösen, die sich in Arbeitslosenraten von 80 Prozent, mangelhaftem Zugang zu Bildung und gesellschaftlicher Vernachlässigung ausdrücken.
All diese Benachteiligungen vollständig aufzuheben, wird vielleicht nie gelingen. Das gibt auch Zoltan Balog zu, der Staatssekretär für soziale Integration. Die Probleme haben sich in den letzten 20 Jahren eher verschärft. So arbeiteten 1985 an die 85 Prozent der ungarischen Roma-Männer. Zehn Jahre später hatte nur noch jeder fünfte einen Job. Dazwischen lagen der Zusammenbruch der kommunistischen Regimes und der Kollaps oder die Privatisierung großer Industrieunternehmen. 300.000 Arbeitsplätze gingen verloren, und dies traf vor allem die ungebildeten Kräfte. Die Menschen zogen in Städte, wo sie sich die Mieten leisten konnten, oder in verlassene Dörfer. Gebiete mit einem 90-prozentigen Roma-Anteil bildeten sich. "Und der Staat zog aus", erzählt Balog. Schulen und Polizeistationen wurden geschlossen, es gab Armut und Überlebenskriminalität.
Nun wachse mittlerweile die zweite Generation ohne Jobs heran, sagt Balog. Programme, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, müssten daher anders angelegt sein als für andere Langzeitarbeitslose. Selbst Bildungsprogramme für Roma sind speziell: "Wenn Mädchen mit dreizehn Jahren schwanger werden und mit 35 schon Großmütter sind, dann können wir uns erst später wieder an sie wenden."
So richten sich Stipendienprogramme auch an die Mütter: Sie können dann etwa gemeinsam mit ihren Kindern die Schule zu Ende bringen. Von Zwangsinternaten, in die Roma-Kinder gesteckt werden, wie es die extreme rechte Partei Jobbik vorschlägt, hält der Staatssekretär nichts. Von Zwangsdurchmischung allerdings auch nicht. Vielmehr sollten Lehrer speziell geschult sein, wenn es Klassen mit einem hohen Anteil von Roma-Kindern gibt.
Gefördert sollte auch die Ausbildung in bestimmten Bereichen werden. So hat das Innenministerium zugesagt, 30 Prozent der Plätze auf dem Polizeigymnasium für Roma zu reservieren.
Doch soll es nicht bei den Aktivitäten eines Staates bleiben. Eine europäische Rahmenstrategie tut not - da sind sich die Ungarn, ihre Nachbarn und auch die EU-Kommission einig. Bis allerdings eine Resolution daraus wird, noch dazu mit verpflichtendem Charakter, können Jahre vergehen.