Zum Hauptinhalt springen

Zwangspause für "Goaßl"-Schnalzer

Von Wolfgang Machreich

Reflexionen
"Oane, zwoa, drei, dahin geht’s!": Schnalzen in der Prä-Corona-Zeit.
© Machreich

Corona hat auch dem in Pestzeiten und lange davor gepflegten "Aperschnalzen" den Ton abgedreht - Hommage an ein kulturelles Covid-Opfer von vielen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Verdächtige Stille. Kracht es zur Winterzeit im österreichisch-deutschen Grenzgebiet nicht, ist das kein gutes Zeichen. Wie vieles andere ist in diesem Corona-Verlängerungsjahr auch das als "Aperschnalzen" bezeichnete Aufbäumen gegen Schnee und Eis und Kälte abgesagt. Das Virus hat den Lautstärkeregler auf beiden Seiten des Grenzflusses Saalach ganz nach unten gedrückt.

Fast ganz. Die Schnalzervereinigung Rupertiwinkel e.V. rief ihre Mitglieder "drent und herent", also in Bayern und Salzburg, mit dem Aufruf zum Widerstand auf, "dass alle Schnalzer - jung und alt - ihre Goaßln auspacken und corona-konform daheim oder mit Fami-lienmitgliedern schnalzen" und es "laut duschn" lassen sollen. "Diese Saison geht es nicht um Punkte, sondern um unseren Überlebenswillen und unsere Sichtbarkeit als Schnalzer!", sparte die Vereinsleitung nicht mit Dramatik.

Die Chroniken kennen einen Sebastian Gassner aus dem oberbayrischen Watzing, der sich während einer Pest-Epidemie um 1600 in seinen Getreidekasten einsperrte. Draußen wurde gestorben, Gassner blieb drinnen. Als ihm Brot und Wasser ausgingen, musste er raus, doch die Angst quälte ihn, vielleicht wartete der Tod ja noch immer vor der Tür: "Da nimmt er seine Goaßl und schnalzt mit letzter Kraft und bekommt mit derGoaßl Antwort aus den Nachbardörfern Redl und Gußhübel. Außer ihm gibt es Gott sei Dank noch jemand. Er ist also nicht ganz allein und beginnt wieder zu leben ..."

Die Nutzung als Kommunikationsmittel in Pest-Zeiten gilt in der Brauchtumsforschung mittlerweile eher als originelle Variante denn als wahrscheinlicher Ursprung der Schnalzerei. Die jahreszeitliche Befristung auf den Hochwinter zeigt das Aper- oder Faschings-Schnalzen vielmehr als eine Ausformung des seit Urzeiten in zahlreichen Varianten - Glockenläuten, Böllerschießen, Klappern, Ratschen, Poltern usw. - ausgeübten Lärmbrauchtums. Das "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" weiß: "Im Jahresbrauchtum spielen Lärmumzüge in der Winter-Frühlingsperiode eine hervorragende Rolle (...) Je lauter die Knaben mit ihren Pfeifen, Glocken, Peitschen u.ä. lärmen, desto wirksamer sind ihre Umzüge."

© Machreich

Wirksam im Sinne, dass die bösen Geister der Finsternis, Nacht und Kälte vertrieben und die guten des Lichts, der Fruchtbarkeit und des Wachstums gerufen werden. Von seinem heidnischen Ursprung hat sich das Aperschnalzen emanzipiert und als Kulturgut etabliert. Seit 2013 ist der Brauch - neben u.a. der Spanischen Hofreitschule, der Ball- und Kaffeehauskultur oder dem Lied "Stille Nacht, heilige Nacht" - in die österreichische Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.

Die Schnalzer müssen ihre "Goaßln" ("Geißel" für Peitsche) mit den bis zu sechs Meter langen in schwarzem Pech imprägnierten Hanfseilen über ihren Köpfen in einem gefälligen Rhythmus zum Schnalzen bringen - hohe Kunst! "Seid’s g’schickt? Oane, zwoa, drei, dahin geht’s!", geben die "Aufdreher", quasi die ersten Geiger der Schnalzerensembles, den Einsatz. Zwei Varianten stehen am Programm: Der "Pasch", bei dem es alle Passmitglieder im gleichen Moment krachen lassen, sodass im Idealfall ein einziger Knall erschallt. Die andere Komposition ist das "Draufschnalzen": Die neun Schnalzerinnen und Schnalzer müssen der Reihe nach elfmal hintereinander "duschn" - ein hochkomplexer Vorgang: Bei einem Takt, der knapp neun Sekunden dauert, liegt der Abstand zwischen zwei Schlägen unter einer Zehntelsekunde. Hinzu kommt, dass die "Musi", der Rhythmus, harmonieren soll - nur so gelingt ein einwandfreies Klangerlebnis.

Mit- und Füreinander

Eine 14-ohrige Jury bewertet den Auftritt jeder Schnalzerpass in einer Art "akustischen Blindverkostung". Die Herkunft der Gruppen wird dem Publikum nur mit Tafeln angezeigt. Die aus Schnalzer-Gourmets zusammengestellte Jury ist hinter Rollläden postiert und bewertet allein das Klangmenü, ohne etwaigem Lokalpatriotismus frönen zu können.

© Machreich

Das Dorf Watzing des einst von der Pest geplagten Sebastian Gassner liegt am Waginger See. Waging am See wäre heuer der Austragungsort des 68. Rupertigau-Preisschnalzens, der Champions League des Schnalzens, gewesen. Ein gesellschaftliches, sportliches und musikalisches Großereignis. Mehr als 200 Passen, mit rund 1.800 Schnalzerinnen und Schnalzern, vom Volksschul- bis ins Seniorenalter, hätten so wie jedes Jahr gegeneinander angeschnalzt. Diesen Wettkampf vereitelte Corona.

Das miteinander und füreinander Schnalzen konnte aber auch das Virus nicht unterbinden. Am Schnalzersonntag (7.2.), so meldeten die Regionalmedien, rollten die Schnalzer "drent und herent" ihre Goaßln aus und gingen allein oder im Familienkreis vor das Haus, "um ein Lebenszeichen von uns zu geben". Und um die verdächtige Corona-Stille zu vertreiben.

Wolfgang Machreich lebt als freier Autor und Journalist in Wien.