FDP-Einzug in das Parlament wackelt, ebenso die Rolle als Kanzlermacherin.
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Berlin/Wien. 1125 Zimmer hat das Berliner Estrel Hotel. In Deutschlands größtem Hotel mit angeschlossenem Veranstaltungszentrum trifft sich die FDP am Wochenende zum Parteitag. Um die Ecke des Tagungsorts residiert die Autoverwertung Berk. Zwischen den Polen Größe und Wrack pendeln auch die Liberalen vor der Bundestagswahl im September.
14,6 Prozent erreichte die FDP bei der Wahl 2009, lediglich vier Prozent der Deutschen würden derzeit die Liberalen wählen - nicht genug für den Einzug in das Parlament. Philipp Rösler und Rainer Brüderle symbolisieren den desaströsen Zustand der Partei. Zwar wird Rösler am Wochenende als Vorsitzender wiedergewählt und Brüderle zum Spitzenkandidaten für die Wahl gekürt. Gar als "Kampfgemeinschaft" wird das Duo auf der FDP-Webseite beworben. Lange stand dabei der Kampf gegeneinander im Vordergrund, nun kämpfen beide gegen ihr schlechtes Image.
"Gesicht und Kopf" der Partei im Wahlkampf sollte Brüderle werden. Seit seiner Sexismus-Affäre im Jänner - damals wurde bekannt, dass Brüderle eine Journalistin des "Stern" nächstens in einer Hotelbar sagte, sie könne "ein Dirndl auch ausfüllen" - ringt der früher so kumpelhaft auftretende Politiker um Linie. Der diplomierte Volkswirt versucht sich nun abseits von Weinverkostungen zu profilieren; in der ZDF-Diskussionssendung von Maybrit Illner spekulierte er über einen Austritt Italiens aus der Währungsunion. "Italien ist nicht wettbewerbsfähig", klagte der 67-Jährige. Außerdem könne der deutsche Staatshaushalt "nicht zum Selbstbedienungsladen für ganz Europa werden". Für Pointen ist Brüderle also weiterhin gut, bloß werden sie nicht goutiert. Lediglich 28 Prozent der Deutschen sind nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap zufrieden mit seiner Performance; während Kanzlerin Angela Merkel Werte von knapp 70 Prozent erreicht.
Blutleere Auftritte und mangelnde Glaubwürdigkeit
Noch unzufriedener als mit Brüderle sind die Wähler mit FDP-Chef Philipp Rösler. Blutleer wirken die Auftritte des Wirtschaftsministers, selbst in Stunden des Triumphs vermag er nicht die Menge zu begeistern; so gesehen im Jänner, als die Liberalen bei der Wahl in Niedersachsen völlig überraschend auf knapp zehn Prozent kamen. Wähler und Partei spüren, dass Rösler mit seiner Führungsrolle überfordert ist. Dieses Manko sollte Brüderle ausgleichen, der jedoch mittlerweile ebenfalls angezählt ist. Mangels personeller Alternativen zieht die FDP mit zwei taumelnden Politikern in den Wahlkampf.
Die katastrophalen Umfragewerte erstaunen wenig angesichts der Tatsache, dass 81 Prozent der Deutschen meinen, die FDP verspreche vieles, halte aber nichts. Doch irgendwie muss sich die Partei über die Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament retten. Auf Unterstützung der CDU für eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition dürfen die Liberalen nicht hoffen. Dass die FDP in Niedersachsen auf Kosten der Union so gut abschnitt, hat Merkel nachhaltig verschreckt.
Deutschland steuert auf schwarz-rote Koalition zu
Auf die FDP wartet neben dem erwartbaren Absturz das nächste Schreckensszenario. Selbst wenn die Partei ins Parlament einzieht, wird sie wohl keine Rolle bei der Regierungsbildung spielen. Nach jetzigem Stand sind lediglich drei Koalitionsoptionen rechnerisch möglich: eine große Koalition, Schwarz-Grün sowie einer Partnerschaft zwischen SPD, Grünen und Linkspartei. Wenig realistisch scheint ein Abkommen zwischen den Konservativen und den Grünen, praktisch ausgeschlossen ist eine Koalition von Sozialdemokraten und Grünen mit den Linken. Deutschland steuert also auf die Wiederholung der 2005 bis 2009 amtierenden Regierung von Union und SPD zu. Die FDP, jahrzehntelang als dritte Kraft im Parteienspektrum in der Rolle der Kanzlermacherin, droht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Gegensteuern wollen die Liberalen im Wahlkampf mit den Schlagworten stabiles Geld, solide Haushalte, bezahlbare Energie, leistungsgerechte Steuern, ein starker Mittelstand und klare Regeln für die Finanzmärkte. Die derzeit so heftig debattierte Vergütung von Führungskräften in Firmen soll durch die Eigentümer der Unternehmen entschieden werden, so der Vorschlag des FDP-Präsidiums, über den am Parteitag abgestimmt wird.
Während grünes Licht für diesen Antrag erwartet wird, droht beim Parteitag an anderer Front Ungemach. Gesundheitsminister Daniel Bahr und Entwicklungsminister Dirk Niebel treten wohl um den Posten als Beisitzer im Präsidium gegeneinander an. Ex-FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle setzt derweil innenpolitische Duftmarken und mischt stärker im Tagesgeschäft mit. Einigkeit sieht anders aus.