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Gustav Mahler wird gern als tiefer, Peter Iljitsch Tschaikowskij hingegen als seichter Komponist bezeichnet. Die Haltbarkeit dieses Urteils konnte man am Sonntagabend in der Sendung "Aus dem Konzertsaal" in Ö1 überprüfen. Das Finnische Radio-Symphonieorchester spielte unter der gediegenen Leitung von Jukka-Pekka Saraste Werke beider Komponisten.
Der Beginn war geeignet, alle Vorurteile gegen Tschaikowskij zu bestätigen. Seine symphonische Dichtung "Der Wojewode" vertont ein melodramatisches Geschehen: Ein eifersüchtiger Pole tötet erst seine Frau, dann sich selbst. Sehr viel interessanter ist Tschaikowskijs 4. Symphonie, die am Schluss des Konzerts zu hören war. Insbesondere der dritte Satz, ein nervöses Scherzo, ist von bizarrer, leicht irrer Komik, die das Adjektiv "seicht" gewiss nicht verdient. Dazwischen waren Mahlers "Kindertotenlieder" zu hören. Den kurz aufblitzenden Verdacht, das Lied "Wenn Dein Mütterlein tritt zur Tür herein . . . " sei auch nicht frei von Trivialitäten, vergaß man schnell, zumal der ausdrucksstarke Mezzosopran Anne Sofie von Otters alles tat, um das Gegenteil zu beweisen.
In der neuen Mahler-Biografie von Jens Malte Fischer (Zsolnay Verlag) wird berichtet, dass die beiden Komponisten einander persönlich kannten, und dass Tschaikowskijs "Eugen Onegin" zum festen Repertoire des Dirigenten Mahler zählte. Nach dem Radiokonzert am Sonntag glaubt man das gern, denn Mahler und Tschaikowskij sind einem hier fast wie zwei Brüder im Geiste erschienen.