Zum Hauptinhalt springen

Zwei Djangos müssen liefern

Von Clemens Neuhold

Kommentare
Dietmar Hollenstein

Mit der Steuerreform verpflichten sich ÖVP und SPÖ: Den Reform-Tausender dürfen sie keinesfalls schuldig bleiben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Seit Freitag gibt es nicht nur einen "Django" (Spitzname von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner). Die gesamte Regierungsmannschaft hat sich mit ihrer "größten Steuerreform aller Zeiten" als Draufgänger in Django-Manier präsentiert. Wie bei der finalen Pokerrunde im Western-Salon ist sie mit ihrem Versprechen, den Bürgern fünf Milliarden mehr ins Börsel zu legen, All-in gegangen. Und nun muss sie liefern. Denn man weiß, was im Western mit Falschspielern passiert.

Big-Mac-Index

Ist die Politik nicht ein einziges falsches Versprechen? Verhallt die frohe Botschaft vom Geldsegen, weil erst 2016 einzulösen, nicht ohnedies im zeitlichen Nebel? Nein. Was liegt, das pickt. Seit Freitag kann jeder Staatsbürger berechnen, wie viele Tankfüllungen, Bierdosen, H&M-Shirts oder BigMacs er sich künftig um die Reform kaufen kann. Bierdeckel war gestern. Jeden Tag kommt im Internet ein neuer Steuerzuckerl-Rechner dazu: 2610 Euro brutto pro Monat = 1000 Euro Lohnsteuer weniger im Jahr, 83 mehr im Monat. Ihre Regierung.

Die Opposition vermutet, dass sich das Zuckerl schon bald in eine bittere Pille verwandelt - über Belastungen durch die Hintertür. Das ist in diesem Spiel aber nicht vorgesehen. SPÖ und ÖVP haben hoch und heilig versprochen, dass sich die Menschen die Steuerentlastung nicht am Ende selbst bezahlen.

FPÖ, Grüne, Neos und Team Stronach sollten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, alternative Rechner ins Netz zu stellen. Damit könnten sie alle Belastungen, die den Bürgern seit dem Steuerreform-Freitag den 13. zusätzlich aufgebürdet werden, gegen die Steuerersparnis aufrechnen - egal ob sich Kapitalertragsteuer, Müllgebühr, Sozialversicherung, Zigarette, Benzin, Chappi-Dose oder Kinotickets verteuern. In diesem Belastungsticker findet sich jeder Bürger mit seiner spezifischen Lebensrealität wieder und kann sich bis zur nächsten Wahl 2018 ausrechnen, wie viel die "größte Reform aller Zeiten" wirklich wert war.

Der Zorn des Pospischil

Man stelle sich Franz Pospischil vor, der sich sein Plasma-TV-Gerät in Vorfreude auf die Entlastung ab 2016 schon jetzt zulegt. Und dann schaut er in zwei Jahren auf selbigem Plasma "ZIB 2" und erfährt, dass er sich das Gerät gar nie hätte leisten können. Da wird er einen Zorn kriegen, der Herr Pospischil. Und zwar stellvertretend für alle Wähler, die rechnen können - und das sind selbst für Django zu viele.

Der Großen Koalition, die sich seit 2008 im Klein-Klein verliert, wird deswegen nichts anderes übrig bleiben, als ihre Größe auszuspielen und echte Reformen anzugehen - und den Reformtausender für die Bürger zu verdienen.

Pensionsreform, Bürokratie, Gesundheit, Föderalismus: Überall dort, wo die Kosten davon laufen, muss die Regierung jetzt ihr Lasso rausholen und die Kosten sozial verträglich einfangen. Gleichzeitig muss sie dem Standort mit 500.000 Arbeitslosen Beine machen und frisches Geld für Bildung, Forschung, moderne Infrastruktur auftreiben. Wird der Bund doch noch zur Steiermark? Dort haben SPÖ und ÖVP Gemeinden und Bezirkshauptmannschaften zusammengelegt, Beamte eingespart und so 2015 ein ausgeglichenes Budget erzielt.

Dieses Nulldefizit verlangt Brüssel von Österreich im Jahr 2016. Schon aus heutiger Sicht geht sich das nicht aus. Und ab 2016 hat Finanzminister Hans Jörg Schelling auf einen Schlag fünf Milliarden Euro jährlich weniger im Staatssäckel. Deswegen fragen sich die meisten Ökonomen, wie das Nulldefizit ohne neues Sparpaket klappen soll. Ein Spar-Hammer vor der Wahl 2018? Pospischils Plasma-TV kann auch als Wurfgeschoss dienen.

Brüssel schickt seine Warn-Briefe nicht ins Blaue. Kann Schelling 2016 argumentieren, dass Österreich auf einem nachhaltigen Reformkurs bei Verwaltung, Pensionen, Bildung, Gesundheit und Forschung surft, bekommt er wohl eine Fristverlängerung. Säumige Länder wie Frankreich bekommen ihre Friststreckung weit billiger.

Der wahre Django

Apropos Schelling: Mit seinen 61 Jahren ist der Ex-Lutz-Manager, was den Hang zum Draufgänger betrifft, der wahre Django in der Regierung. Er hat ein Vermögen im Rücken und - anders als seine Kollegen - nichts zu verlieren. Die Hypo-Gläubiger derart zu rasieren, haben sich drei Vorgänger nicht getraut. Reform oder Tod. Er kann ja dann noch immer von seinem Weingut aus Interviews über die Reformbremser geben.

Regierung in Ketten

Heute ist Schelling in seinem Einflussbereich für eine Rechnung von 1,9 Milliarden zuständig, die sich die Regierung selbst ausgestellt hat. Fast 40 Prozent dessen, was die Steuersenkung kostet, sollen seine Finanzbeamten durch Betrugsbekämpfung, Registrierkasse und geknacktes Bankgeheimnis wieder reinholen.

Zunächst war es nur eine Milliarde. Je weniger die anderen Minister aus Angst vor Lobbys beitragen wollten, desto mehr bürdete sich Schelling auf. Damit hat er sich zum Schlüsselspieler gemacht und kann bis 2018 den Ball den Ministern, den Ländern, der SPÖ oder den Bünden in seiner eigenen Partei zuspielen.

War es Teil seines größeren Plans, mit der Steuerreform einen ungedeckten Scheck auf künftige Reformen auszustellen? Gegen die SPÖ will er ein höheres Frauenpensionsalter durchsetzen und die Sozialhilfe treffsicherer machen, gegen "Krone" und Raiffeisen das Bankgeheimnisses kippen, gegen die Länder unsinnige Doppelförderungen abbauen - mit Pospischil an seiner Seite.

Reform-Pfad
Nächste Woche Montag und Dienstag geht die Regierung in Klausur. Sie will den Schwung aus der Steuerreform mitnehmen, sich nur kurz dafür feiern und dann neue Reformbaustellen angehen. Im Bereich Pensionen könnte das Bonus-Malus-System für Betriebe paktiert werden. Es soll helfen, ältere Menschen länger im Betrieb zu halten. Über ein höheres Frauenpensionsalter wird nicht öffentlich, aber umso intensiver hinter verschlossenen Türen debattiert werden. Weiters am Plan: Eine Bauoffensive für 30.000 Wohnungen, finanziert über günstige Darlehen; ein Integrationspaket für bessere Sprachförderung von Migranten im Kindergarten und für mehr Pflichten der Eltern, die Bildung ihrer Kinder zu fördern; mehr Autonomie für Schulen.