Zum Hauptinhalt springen

Zwei Ideen von Österreich

Von Walter Hämmerle

Kommentare

Die Gegenwart als Déjà-vu: Wieder stehen einander zwei antagonistische sozial-politisch-kulturelle Lager in Österreich gegenüber.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Weil derzeit so viele Plakate hängen, die allesamt das Hohelied der Heimat singen, ist es höchste Zeit, wieder einmal dem großen jüdisch-katholischen Wutschreiber, wehmütigen Literaten, treuen Monarchist und hartgesottenen Trinker Joseph Roth das Wort zu überlassen. Der wetterte in seinem 1938 erschienenen Roman "Die Kapuzinergruft" gegen die zum Scheitern verurteilten Bemühungen des autoritären Ständestaats, Österreich unter Ausschluss geschätzter 50 Prozent seiner Bevölkerung eine neue, gemeinsame Identität zu verpassen: "Österreich ist kein Staat, keine Heimat, keine Nation. Es ist eine Religion. Die Klerikalen und klerikalen Trottel, die jetzt regieren, machen eine sogenannte Nation aus uns; aus uns, die wir eine Übernation sind, die einzige Übernation, die in der Welt existiert hat."

Seitdem ist viel Wasser die Donau hinuntergeflossen. Spätestens im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts war klar, dass sich Österreich sehr wohl zu Staat, Heimat und Nation eignet. Darin sind sogar die vehementesten Anhänger der beiden sich am 2. Oktober gegenüberstehenenden Kandidaten für das höchste Amt im Staat ausnahmsweise völlig einer Meinung. Damit hat es sich aber auch schon wieder mit den Gemeinsamkeiten zwischen den Fans von Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer.

Was die beiden Lager trennt, sind nahezu konträre Ansichten und Überzeugungen in Bezug auf ihre soziale, politische, kulturelle und nationale Identität sowie die Rolle Österreichs in Europa. Diese Kluft ist schleichend - und weitgehend unbemerkt von den nationalen Eliten in Wissenschaft, Medien und Politik - in den letzten Jahrzehnten entstanden, gewachsen und verfestigt. Dass die Spaltung jetzt plötzlich für alle offensichtlich ist, verdankt sie der Flüchtlingskrise. Ursächlich dafür verantwortlich ist sie jedoch nicht, sie fungierte hier allenfalls als beschleunigender Katalysator.

Mit solchen sozial-politisch-kulturellen Spaltungen hat Österreich bereits Erfahrungen. Die längste Zeit des 20. Jahrhunderts standen sich Christlichsoziale und Sozialdemokraten ähnlich entschlossen gegenüber. Nachdem über diesem Antagonismus die Erste Republik zugrunde ging, verständigten sich die Eliten beider Lager nach 1945 auf misstrauisch beäugte Konkordanz. Hinter verschlossenen Türen wurden von den Spitzen Kompromisse ausgearbeitet, die sodann von beiden Lagern loyal nach unten durchexekutiert wurden. Daran, dass sich die Anhänger der beiden Lager bis weit in die Zweite Republik hinein skeptisch, ja fast ablehnend gegenüberstanden, änderte diese Zusammenarbeit der rot-schwarzen Eliten nichts.

Heute stellt sich die Frage, ob dieses rot-schwarze Konfliktlösungsmodell auch für eine politische Vermittlung angesichts der neuen Spaltung taugt. Beziehungsweise noch grundsätzlicher: Ob es hier überhaupt eine politische Lösung geben kann.

Der alte Graben wurde zugeschüttet, indem der Sozialstaat für alle üppig ausgebaut wurde. Für das notwendige Geld sorgten eine günstige Demografie und ein dynamisches Wirtschaftswachstum. Davon kann heute nicht die Rede sein. Was eine Überwindung der kulturellen Spaltung nicht einfacher machen wird.