Der designierte Präsident Xi Jinping und der künftige Premier Li Keqiang im Poträt.
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Als Aufräumer an die Spitze
Der desginierte Präsident Xi Jinping hat sich einen Namen als Korruptionsbekämpfer gemacht.
Peking. Wenn die neue Riege am Ende des Parteitages in der Reihenfolge ihrer Rangordnung im Gänsemarsch vor den roten Fahnen in der Großen Halle des Volkes vor die Delegierten tritt, hat Xi Jinping es geschafft: Als Erster in der Reihe wird er die mittlerweile fünfte Führungsgeneration der Kommunistischen Partei Chinas anführen und Hu Jintao als Staatspräsident nachfolgen. Er hat die Mühen der Ebene durchlaufen, alle parteiinternen Konkurrenten ausgepokert und die zermürbenden Machtkämpfe für sich entscheiden können. Und doch liegt die wahre Herkulesaufgabe erst vor ihm: Er übernimmt das Riesenreich in einer schwierigen Phase, in der sich die soziale Schere immer mehr öffnet und der Druck sowohl von außen als auch von innen steigt. "Ihn beschäftigt sehr, wie er der Aufgabe gerecht wird, das Land zu seiner geschichtlichen Größe zu führen", wird ein ihm nahestehender Diplomat zitiert. Doch kann der 59-Jährige Probleme wie Überalterung und die aufmüpfiger werdende Bevölkerung in den Griff bekommen?
Zumindest hat der Kadersohn bereits erlebt, wie schnell und tief man in China fallen kann. Sein Vater Xi Zhongxun dient Mao seit 1928 als führender Funktionär, doch der Große Vorsitzende stürzt ihn 1962. 16 Jahre lang verbringt der Vater abwechselnd in Arbeitslagern oder Haft, der Sohn wird zur Arbeit aufs Land verbannt. Dennoch wird er in die Partei aufgenommen, der Ehrgeizige darf an der renommierten Tsinghua-Universität studieren. Er wählt eine eigenwillige Mischung aus Chemie, Jus und Marxismus und findet nach Abschluss eine Stelle in der Militärkommission.
In dieser Zeit spinnt er ein feines Netzwerk und beginnt, seine Karriere zu planen - umsichtig, vorsichtig, nirgendwo aneckend. Belohnt wird er zunächst mit dem Job des Vizebürgermeisters der Hafenstadt Xiamen. Xi Jinping fällt dabei vor allem dadurch auf, dass er versucht, nicht aufzufallen. Lange Zeit kennen die Chinesen nur seine zweite Frau, die Sopranistin Peng Liyuan, die als Interpretin patriotischer Soldatenlieder landesweit berühmt ist.
Als Xi 2002 Gouverneur der Provinz Zhejiang wird, schreibt er sich den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen und trifft damit bei seinen Vorgesetzten einen Nerv. 2007 stürzt der Parteichef von Shanghai über einen Korruptionsskandal und Xi wird als Krisenmanager geschickt, um aufzuräumen. In dieser Zeit schärft er sein Profil und meistert einen schwierigen Drahtseilakt: Einerseits ist er ein Mann der offenen Worte, der mit den Genossen Klartext redet, andererseits ist er auch vorsichtig genug, um sich keine offensichtlichen Feinde zu machen. Der Shanghai-Zirkel um Alt-Präsident Jiang Zemin ist endgültig überzeugt: Dieser Mann ist für höhere Aufgaben bestimmt. Noch im selben Jahr steigt er auf in den inneren Zirkel der Macht, den Ständigen Ausschuss des Politbüros, 2008 wird er Vizepräsident.
Bei Xis Rede für den Parteitag wird der Kampf gegen die Korruption zweifellos einen Schwerpunkt bilden - doch was der zukünftige Präsident inhaltlich plant, ist schwer einzuschätzen. Der Konsenspolitiker ist weniger durch seine politische Arbeit an die Spitze gekommen als vielmehr durch seine Fähigkeit, verschiedene Lager innerhalb der KP zu vereinen. Möglich sind eine Revidierung der strikten Ein-Kind-Politik sowie lokale Experimente mit freien Wahlen. Außenpolitisch ist eine deutlichere Annäherung an Europa zu erwarten, da Xi die USA auf Augenhöhe mit China sieht, deren verstärkte Präsenz im Pazifik aber mit Misstrauen beobachtet.
Lächler ohne Eigenschaften
Der künftige Premier Li Keqiang ist hervorragend ausgebildet, bleibt aber zumeist unverbindlich.
Egal, in welcher Situation Li Keqiang in Erscheinung tritt: Sein freundlicher Gesichtsausdruck sitzt perfekt. Wie auch Wen Jiabao, sein Vorgänger als chinesischer Ministerpräsident, lächelt der 57-Jährige stets und findet immer freundliche Worte für seine Gegenüber. Seine Fähigkeit, sein Temperament zu kontrollieren, gilt selbst nach Maßstäben chinesischer Funktionäre als legendär. Es ist jene freundliche Unverbindlichkeit in Kombination mit einer fundierten ökonomischen Ausbildung, die den Sohn eines kleinen Provinzbeamten nach oben gebracht hat. Für das höchste Amt im Staat reichte es jedoch nicht - vielleicht gerade deswegen.
Seine klassische Ausbildung verdankt Li in den Wirren der Kulturrevolution seinem Vater, der jedoch nicht verhindern kann, dass sein Sohn zu einem Arbeitseinsatz aufs Land geschickt wird. Nichtsdestotrotz wird Li Keqiang 1974 selbst Parteimitglied - er weiß, dass er seinen Traum von der Universität nur mit Parteihilfe verwirklichen kann. 1978 ist es so weit, er studiert in Peking vergleichende Rechts-, Verfassungs- und Sozialsysteme. Als Autodidakt bringt er sich selbst perfekt Englisch bei und übersetzt sogar ein britisches Gesetzbuch ins Chinesische. Eine Erfahrung, die abfärbt - Li gilt westlichen Ideen gegenüber als aufgeschlossen.
Für politische Köpfe ist es am Vorabend der Proteste am Tiananmen 1989 ohnehin eine interessante Zeit: An der Universität wird debattiert, es werden improvisierte Wahlen abgehalten, auch Li Keqiang wird gefragt, ob er antreten wolle. Dieser winkt jedoch ab - und hält sich vorsichtig zurück. Zwar kennt er die handelnden Personen und hat sogar Kontakt zu einigen Anführern der Aufstände, doch Freundschaften unterhält er zu niemandem. Dies rettet ihm den Kopf: Während viele seiner Kommilitonen verhaftet werden oder ins Exil gehen, bleibt Li - und macht Karriere über die Kommunistische Jugendliga. Bereits seit Ende der 1980er sucht er den Kontakt zum heutigen Staatspräsidenten Hu Jintao, was ihm später helfen soll, ins Zentralkomitee aufgenommen zu werden.
1998 wird er dann mit 43 Jahren Gouverneur der Provinz Henan und damit der jüngste Provinzvorsteher, den China bis dahin hatte. Doch die Stunde des Triumphes wird gleichzeitig zu einem schwarzen Kapitel seiner Karriere: Durch verunreinigte Instrumente infizieren sich 25.000 arme Bauern, die ihr Blut an fahrende Sammelstellen verkaufen, mit HIV. Dies passiert zwar vor seiner Amtszeit, doch Li tut alles, um den Fall zu vertuschen. Seinem Aufstieg schadet das jedoch nicht: Als Parteichef der Schwerindustrieprovinz Liaoning lässt er die maroden Staatsbetriebe sanieren und arbeitet sich in Themen wie Sozialnetze, saubere Energie und Umweltschutz ein. Bis 2008 dient er sich bis zum Vizepremier hoch.
Eine mustergültige Karriere - doch für den Aufstieg nach ganz oben reicht es nicht. Zum einen gibt es einflussreiche Altkader, die dem Emporkömmling den Job an der Staatsspitze aufgrund seiner professoralen Art nicht ganz zutrauen. Zum anderen hat sein Mentor Hu Jintao im Machtkampf mit dem Shanghaier Zirkel um Ex-Staatspräsident Jiang Zemin den Kürzeren gezogen - dieser setzte Xi Jinping als neuen starken Mann durch. Im Vergleich zu Xi, der durch sein "blaues" Parteiblut als Prinzling ein gewisses Selbstbewusstsein ausstrahlt, wirkt Li Keqiang weitaus vorsichtiger. So vorsichtig, dass er sich mit klaren Aussagen bis zur Selbstaufgabe zurückhält. Was bleibt ist ein unverbindliches Lächeln.