Zum Hauptinhalt springen

Zwei Preisträger, eine Mission

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Der Inder Kailash Satyarthi und die Pakistani Malala Yousafzai erhalten den Friedensnobelpreis 2014.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Neu Delhi/Oslo. Mit nur 17 Jahren ist Malala Yousafzai die jüngste Friedensnobelpreisträgerin aller Zeiten. Erstmals erhält ein Teenager diese renommierte Auszeichnung. Die pakistanische Schülerin, die sich für die Bildung von Kindern und besonders von Mädchen einsetzte, wurde mit 15 weltweit bekannt, als radikal-islamische Taliban-Kämpfer auf die Schülerin schossen, die auf dem Nachhauseweg von der Schule war. Malala wohnt heute mit ihrer Familie im englischen Birmingham.

Der 60-jährige Inder Kailash Satyarthi ist der zweite Preisträger heuer. Er setzt sich seit Jahrzehnten für die Abschaffung von Kinderarbeit ein und forciert Bildungsprojekte auf dem Lande. Das Nobelpreiskomitee begründete seine Auszeichnung mit dem Kampf von Malala und Satyarthi "gegen die Unterdrückung von Kindern und jungen Menschen". "Es ist eine Ehre für alle diejenigen Kinder, die immer noch unter Versklavung und Verschleppung leiden", kommentierte Satyarthi die Preisvergabe im indischen Fernsehsender CNN-IBN.

Weltbekannt . . .

Malala, die den Anschlag der Taliban schwerverletzt überlebte, ist inzwischen weltweit zu einem Symbol für Zivilcourage und Kampf gegen Extremismus geworden. Sie war bereits im vergangenen Jahr für den Nobelpreis nominiert worden und konnte sich in den vergangenen zwei Jahren vor Auszeichnungen und Preisen kaum retten. Das Mädchen mit den dunklen Augen und dem locker um den Kopf geschwungenen Kopftuch veröffentliche bereits ihre Biografie. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, nannte sie "unsere Heldin", Pop-Sängerin Madonna widmete ihr einen Song. Malala besuchte US-Präsident Barak Obama und seine Familie im Weißen Haus und wurde von der Queen im Buckingham Palace empfangen. Sie ist Sacharow-Preisträgerin, hat die kanadische Ehrenstaatsbürgerschaft verliehen bekommen und sogar ihr erstes Ehrendoktorat entgegengenommen. Beraten von einem Stab von PR-Experten ist Malala zu einer internationalen Marke geworden, die der Familie Millionen Euro mit Buchverträgen, Auftritten und Filmrechten sichert.

"Im Moment hören mir die Leute wirklich zu und unterstützen mich. Aber ich weiß auch, dass sich das ändern kann. Ich weiß, dass die Reaktion nicht die gleiche in fünf oder zehn Jahren sein könnte", sagte Malala kürzlich der britischen Zeitung "Guardian". Am Anfang habe sie "viele, viele" Einladungen angenommen. Doch nun habe sie sich eingeschränkt, weil sie nicht wolle, dass die Schule darunter leidet. Malala, die eine Bewunderin der ermordeten pakistanischen Ex-Regierungschefin Benazir Bhutto ist, hegt weiterhin den Wunsch, einmal in die Politik zu gehen. Auch sie, so sagt sie, wolle einmal Premierministerin von Pakistan werden.

In der Öffentlichkeit zu stehen, daran ist Malala früh gewöhnt worden. Ihr ehrgeiziger Vater, Ziauddin Yusafzai, der Besitzer einer Schul-Kette in Pakistan, nahm die Tochter schon 2008 in den Presseclub von Peshawar mit. Die damals kaum Elfjährige hielt dort Vorträge über Bildung. Wenig später begann der britische Sender BBC, einen Blog des Kindes zu veröffentlichen: In Tagebuchform berichtete Malala von den Gräueltaten der Taliban im Swat-Tal. Sie setzte sich dabei vehement für den Schulbesuch von Mädchen ein, den die Taliban verboten hatten, die zu jener Zeit das Tal besetzten und ein Schreckensregime führten. Malala geriet so ins Visier der Extremisten. Ihr Vater sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, sein Kind gefährlich exponiert zu haben.

Mit ihrer öffentlichen Rolle als Vorkämpferin für Bildung nahm aber auch die Gefahr für Malala zu. Drohbriefe tauchten vor ihrer Haustür in Mingora auf - bis am 9. Oktober 2012 vermummte Bewaffnete den Schulbus anhielten, nach Malala fragten und dann das Feuer auf das Kind eröffneten. Man habe sie wegen ihrer "pro-westlichen Haltung" töten wollen, erklärten die Taliban später. Mit dem Anschlag wurde Malala im Westen über Nacht zur Ikone im Kampf gegen den Extremismus. Islamisten äußern weiter Morddrohungen.

In Pakistan ruft der internationale Superstar Malala nicht nur Stolz hervor. Vielmehr wurden wiederholt Vorwürfe laut, Malala sei zu einer Marionette des Westens geworden. Die Aktivistin weist dies klar zurück: "Ich bin eine Tochter Pakistans und ich bin stolz, Pakistanerin zu sein", sagte sie der BBC. Auch gegenüber den extremistischen Angreifern hegt Malala keine Rachegedanken. Sie wolle Bildung für alle Kinder, auch "die Söhne und Töchter der Taliban und aller Terroristen und Extremisten", erklärte sie in ihrer Rede vor der UN. "Lasst uns unsere Stifte und Bücher in die Hand nehmen. Sie sind unsere mächtigsten Waffen. Bildung sei die einzige Lösung gegen Armut und Extremismus."

. . . in der Heimat unbekannt

Der indische Menschenrechtsaktivist Kailash Satyarthi kämpft ebenso für bessere Chancen für Kinder weltweit und besonders in Südasien, wo Kinderarbeit, Kinderhandel und die Verheiratung von Mädchen im Kindesalter weiter verbreitet sind. Bereits in den 1980er Jahren gründete Satyarthi die in New Delhi beheimatete Organisation "Bachoan Bachao Andolan". Sie hat tausende Mädchen und Buben befreit, die als Sklaven für Hausarbeit oder in Fabriken gehalten wurden. Die Hilfsorganisation ist die größte soziale Bewegung in Indien zum Schutz von Kindern.

Das Nobelpreiskomitee in Oslo erklärte, Kailash Satyarthis Arbeit stehe in der Tradition von Mahatma Gandhi, dem indischen Unabhängigkeitskämpfer, der ebenso wie Satyarthi auf friedlichen Protest zur Veränderung sozialer Missstände setzte. Der 60-Jährige hat auch den "Global March Against Child Labour" ins Leben gerufen, einen Zusammenschluss verschiedener Hilfsorganisationen, Gewerkschaften und Lehrervereinigungen, um weltweit Aufmerksamkeit für das Thema zu wecken. Die Protestmärsche werden weltweit seit dem Jahr 1998 abgehalten.

Viele in Indien hatten von Satyarthi vor der Verleihung des Nobelpreises noch nie gehört. Der 60-Jährige konzentriert sich in seiner Kampagne gegen Kinderarbeit vor allem auf die ländlichen Regionen Indiens. Er habe einige Jahre nach dem Beginn seiner Arbeit festgestellt, dass der Kern des Problems auf dem Land liege, erklärte Satyarthi. Fast 70 Prozent aller Kinderarbeiter stamme aus Dörfern. "Daher entschlossen wir uns, ein Umfeld zu schaffen, in dem Kinder nicht an einem Arbeitsplatz sind, sondern die Schule besuchen, ihre Meinung sagen können und sichergestellt ist, dass ihre Ansichten auch gehört werden", sagte der Aktivist vor einigen Monaten in einem Interview mit der indischen Zeitung "Hindustan Times". Mit seinem Modell hat der Inder 356 Dörfer in Indien zu kinderfreundlichen Gemeinschaften umgebaut.

Satyarthi, der 1995 in den USA mit dem Robert F. Kennedy Human Rights Award geehrt wurde und im Jahr 2002 den amerikanischen Raoul Wallenberg Human Rights Award erhielt, hat in Indien noch keine wichtige Ehrung erhalten. Der 1954 in Vidisha im mehr als 70 Millionen Einwohner zählenden Bundesstaat Madhya Pradesh geborene Aktivist studierte zunächst Ingenieurswissenschaften und erwarb ein Diplom als Elektroingenieur: Er hat einen Sohn und eine Tochter.

Reaktionen

Politiker der Erzfeinde Indien und Pakistan haben beigeistert und nahezu identischen Worten die Auszeichnung kommentiert - allerdings lediglich "ihres" Preisträgers. "Die ganze Nation ist stolz auf diesen bedeutsamen Erfolg", sagte der indische Premierminister Narendra Modi. Sein pakistanischer Amtskollege Nawaz Sharif bezeichnete die 17-jährige Malala als "Stolz Pakistans". Nobelpreisträger Satyarthi kündigte an: "Ich kenne Malala persönlich und ich werde sie anrufen und sagen: Lass uns zusammenarbeiten."

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso würdigten die Vergabe des Friedensnobelpreises als Sieg für Millionen von Kindern, auch das UN-Kinderhilfswerk Unicef ist angetan.