Die SPD-Parteiführung kann nach dem Ja der Basis zu Schwarz-Rot aufatmen, muss aber bei der Parteireform die Gegner einbinden.
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Berlin. Der Weg für eine schwarz-rote Regierung in Deutschland ist frei: Zwei Drittel der SPD-Mitglieder stimmten für den Koalitionsvertrag. Damit atmet nicht nur die sozialdemokratische Spitze auf, Erleichterung herrscht auch im Berliner Kanzleramt, wo Angela Merkel ihre vierte Amtszeit bevorsteht. Und in den Regierungskanzleien Europas sowie bei der EU-Kommission, dass das wichtigste Unionsland endlich – mehr als fünf Monate nach der Bundestagswahl – eine stabile Mehrheit hat. Nun gibt es keine Ausreden mehr, die dringenden Strukturreformen der EU infolge des Brexit müssen schnellstmöglich angepackt werden.
Nicht nur die Europäische Union muss sich einem Erneuerungsprozess verschreiben, sondern auch die SPD. "Dieses Ergebnis gibt die Kraft für die Erneuerung", sagte der kommissarisch amtierende Parteivorsitzende Olaf Scholz nach Bekanntgabe des Votums am Sonntag. Zwar fiel das von Scholz, der designierten Parteichefin Andrea Nahles, Ministerpräsidenten und Ministern im Bund tatkräftig unterstützte Ja zur großen Koalition deutlicher aus als im Vorfeld angenommen. Jene 66 Prozent sind dennoch weit entfernt von der Dreiviertelmehrheit der Basis zum Koalitionsvertrag 2013.
"Zwergenaufstand"
Kevin Kühnert, Chef der Jungsozialisten, der die Kampagne gegen die "GroKo" angeführt hat, war über das Ergebnis "enttäuscht". Er ist trotzdem ebenfalls ein Gewinner der Abstimmung. Die Parteiführung muss den vor drei Monaten noch völlig unbekannten Studenten einbinden. Sein "Zwergenaufstand" (CSU-Politiker Alexander Dobrindt) ist zum Sammelbecken der vielen Unzufriedenen in der SPD mutiert.
"Die Erneuerung der SPD wird in der Opposition sein – oder sie wird nicht sein", lautete Kühnerts Leitspruch. Die Chance dazu hätten die Sozialdemokraten bereits von 2009 bis 2013 gehabt, als Union und FDP regierten. Geschehen war nichts. Die SPD muss nun parallel zur kräftebindenden Regierungsarbeit die eigene Partei wieder für mehr als derzeit 18 Prozent der Deutschen attraktiv machen. Wie das gelingen soll, hat die Parteispitze bisher nicht schlüssig beantworten können.