Die Farc befindet sich seit längerem angeschlagen in der Defensive. Im Kampf gegen Regierung und rechte militante Gruppierungen büßte sie täglich mehr des von ihr kontrollierten Gebiets ein. Viele Rädelsführer wurden in den vergangenen Monaten entweder erschossen, gefangengenommen oder wechselten die Fronten. Eine dieser Überläuferinnen hat bereits von der Auflösung der kommunistischen Guerillaorganisation berichtet.
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Die Befreiung Betancourts stellt die Krönung dieses Verfalls dar. Dass sich die Farc durch einen Trick ihr teuerstes Unterpfand abluchsen ließ, ist nicht nur für Öffentlichkeit, potenzielle Sympathisanten und Gegner ein deutliches Signal der Schwäche.
Auch innerhalb der Farc wird die Luft zusehends dünner, denn wegen der Infiltration in den eigenen Reihen wird es schwer, Freund von Feind zu unterscheiden und eine Vertrauensbasis zu finden.
Auf der anderen Seite hat die Befreiungsaktion zwei große Gewinner. Erstens Kolumbiens Präsidenten Alvaro Uribe, der mit dem Ja zu einer militärischen Operation und der Distanzierung von den Vermittlungsversuchen Venezuelas hoch gepokert und hoch gewonnen hat (nicht auszudenken, hätten die Guerillas Lunte gerochen und die Geiseln getötet). Als Held der Stunde braucht er sich nicht mehr um den ihn umgebenden Bestechungsskandal oder mögliche Neuwahlen zu sorgen.
Zweitens sonnt sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy im Licht des Befreiungserfolgs. Hatte er doch zu Beginn seiner Präsidentschaft die Befreiung Betancourts zur Chefsache erklärt und sich rege an den Verhandlungen beteiligt. Nun lässt er sich von Betancourts Töchtern und Frankreich hochjubeln, auch wenn er am aktuellen Coup nicht wesentlich beteiligt war.
Bei aller Euphorie der beiden Staatsoberhäupter ist dennoch Vorsicht geboten, denn vielleicht sitzen die verbliebenen Comandantes bereits bei einer Krisensitzung und überlegen fieberhaft, wo sie einen Batancourt-Ersatz herbekommen.