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"Liste Lagarde": Veröffentlichung bringt griechischen Journalisten vor den Kadi.
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Athen. Viel Zirkus vor und im Gerichtssaal 1 des Gebäudes 2 auf dem zentralen Justizgelände "Proin Scholi Evelpidon" bot sich dem Beobachter an diesem regnerischen Montagmittag in Athen. Im Rampenlicht stand der griechische Journalist Kostas Vaxevanis. Der 46-jährige Herausgeber der Zeitschrift "Hot Doc" musste sich vor dem Athener Schnellgericht wegen des Verstoßes gegen Datenschutz verantworten. Dutzende Vaxevanis-Unterstützer gaben sich ein Stelldichein, der Medienrummel war beachtlich.
Vaxevanis war am Sonntag in Athen verhaftet worden, nachdem am Samstag sein Magazin in einer Sonderausgabe insgesamt 2059 Namen mutmaßlicher griechischer Kontoinhaber mit Konten bei der Genfer Filiale des Geldinstitutes HSBC veröffentlicht hatte. In der Liste, die ausdrücklich keine Steuersünderliste darstellt, fehlen Angaben zur Guthabenhöhe und Zeitangaben.
Laut Vaxevanis handelt es sich bei der Liste um die "Liste Lagarde" - in Griechenland nach der früheren französischen Finanzministerin und jetzigen IWF-Chefin Christine Lagarde benannt. Diese hatte als französische Finanzministerin bereits 2010 ihrem damaligen griechischen Amtskollegen Georgios Papakonstantinou eine Liste von 1991 griechischen Kontoinhabern bei der HSBC-Filiale in Genf zukommen lassen. Die griechischen Kontoinhaber sollen dort bis 2007 rund zwei Milliarden Euro deponiert haben.
Bereits seit Wochen schlägt der Fall der "Liste Lagarde" in Griechenland hohe Wellen. Ex-Finanzminister Papakonstantinou hat unterdessen eingeräumt, sich nicht an den Verbleib der ominösen Liste erinnern zu können. Sein Nachfolger Venizelos, mittlerweile Chef der in Athen mitregierenden Pasok-Sozialisten, vertritt die Ansicht, dass die griechischen Steuerbehörden das Material nicht zur Einleitung von Ermittlungen wegen des Verdachts auf Steuerbetrug und -hinterziehung verwenden dürften. Verfassungsjurist Venizelos begründet dies damit, dass die Daten ursprünglich rechtswidrig erworben worden seien. Allerdings haben andere europäische Länder die sogenannten "Falciani-Listen", die nach einem ehemaligen HSBC-Mitarbeiter benannt sind, der Listen von HSBC-Kontoinhabern erstellte und weiterschmuggelte, ausgewertet, um Steuerhinterzieher zur Kasse zu bitten. Bei der "Liste Lagarde" soll es sich um eine der "Falciani-Listen" handeln.
Reeder, Ärzte, Anwälte
Auf der Hot-Doc-Liste sind unter anderem bekannte Reeder, Unternehmer, Ärzte, Rechtsanwälte, Verleger und Journalisten aufgeführt.
Vaxevanis selbst forderte, dass Papakonstantinou und Venizelos, "die die Liste versteckt, persönliche Daten verarbeitet und Kriminelle geschützt haben, angeklagt werden müssen". Zudem verteidigte sich Vaxevanis mit glühenden Reden: "Journalismus ist, wenn du die Wahrheit enthüllst, wenn die anderen sie verstecken wollen. Alles andere ist PR." Die vor dem Gerichtssaal versammelte Menge spendete stürmischen Applaus.
Vaxevanis kann Griechenlands Oppositionsparteien sowie die Journalistengewerkschaften zu seinen Unterstützern zählen. Auf Twitter wurde ein Hashtag unter #freekostasvaxevanis eingerichtet. Zudem formierte sich bei Facebook eine Unterstützergruppe unter www.facebook.com/freeVaxevanis. Die Facebook-Seite wies bis Montagnachmittag mehr als 56.000 "Likes" auf.
Das Schnellgericht in Athen verlegte die Verhandlung auf Donnerstag.