Zum Hauptinhalt springen

Zwei Wege

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Im Zentrum von verunsicherten Demokratien stehen verunsicherte Volksparteien. Jedenfalls dort, wo diese besondere Form des politischen Körpers überlebt hat. Leichen dieses Typs pflastern die vergangene Dekade quer über den Kontinent.

Diese Debatte treibt auch Deutschland um, was deshalb für ganz Europa relevant ist, weil die politische Stabilität und Berechenbarkeit der größten und mächtigsten Volkswirtschaft Europas von besonderer Brisanz ist. Bei der SPD ist längst fraglich, ob sich die älteste deutsche Partei bei Umfragewerten um die 15 Prozent noch Volkspartei nennen kann.

Vom Elend der SPD ist die CDU, die letzte verbliebene politische Sammelbewegung für Gesamtdeutschland (minus Bayern), weit entfernt. Wenn die Christdemokraten jedoch heute, Freitag, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Angela Merkel wählen, haben sie mit der Sozialdemokratie ein mahnendes Beispiel direkt vor Augen. Immerhin sitzen CDU/CSU und SPD zusammen in Berlin auf der Regierungsbank.

Die CDU-Delegierten beim Parteitag haben dabei keine leichte Wahl zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Wegen: Der eine bedeutet eine adaptierte Fortsetzung des Merkel-Kurses, der - grob vereinfacht - darin besteht, der CDU die rechten wie konservativen Kanten zu kappen und die Partei so für Koalitionen mit den Grünen zu öffnen. Machtpolitisch macht das durchaus Sinn, immerhin haben die Grünen de facto die SPD als linke Volkspartei abgelöst. Parlamentarische Mehrheiten gegen die Union wären so kaum noch möglich. Annette Kramp-Karrenbauer ist die Kandidatin für diesen Kurs des Machtpragmatismus im Sinne Merkels.

Der alternative Weg für die CDU liegt in einer Schärfung ihres über die Jahre verwaschenen konservativen Profils. Die Christdemokraten würden in diesem Fall Raum in der linken Mitte frei machen, in den SPD und Grüne hineinstoßen könnten, und im Gegenzug den Kampf mit der AfD aufnehmen, um verunsicherte und frustrierte Konservative wieder an die demokratische Mitte zu binden. Als Koalitionspartner blieben der CDU dann nur FDP und SPD, aber wohl eher nicht die Grünen. Eine Mehrheit gegen die Union nach den nächsten Wahlen wäre keineswegs sicher, aber doch wahrscheinlicher. Der Kandidat für diese Strategie ist Friedrich Merz.

Zielt die CDU-Politik auch weiterhin vor allem darauf ab, das Kanzleramt für sich zu sichern, ist Kramp-Karrenbauer die beste Wahl. Für die Demokratie in Deutschland wäre jedoch Merz’ Kurs wohl der fruchtbarere. Demokratie lebt vom produktiven Streit, vom Wettbewerb der Ideen und Konzepte, vom Wandel und Wechsel. Das ist zuletzt in Vergessenheit geraten.