Die SPÖ ist in eine parteiinterne Debatte über Integration hineingeschlittert, in der sie fast nur verlieren kann.
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Wien. Feind, Todfeind, Parteifreund. Die berühmte Steigerungsformel des legendären bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß hat sich nun auch in der SPÖ offenbart. In Ö1 richtete Michael Häupl höchst unfreundliche Worte in Richtung Graz. "Ein Sozialdemokrat hat zu reden wie ein Sozialdemokrat und nicht wie die Pegida", so Wiens Landeschef in Richtung seines steirischen Gegenparts Franz Voves. Dessen Aussagen würden seine "Absenz und Distanz zur Bewegung der Sozialdemokratie" beweisen, mit "rechtspopulistischer Mimikry" könne man keine Wahlen gewinnen.
"Es war nur eine Frage der Zeit, bis das offen ausbricht, aber da spielt auch eine persönliche Geschichte herein", sagt Politikberater Thomas Hofer. Rein inhaltlich trennt die beiden roten Alphatiere nicht einmal so viel bei ihren wenigen, konkreten Forderungen. Auch der Bürgermeister kann sich höhere und besser wirksame Strafen bei Verstößen gegen die Schulpflicht vorstellen. Und wenn ein Vater seine Tochter nicht in die Schule schickt, "geht das gar nicht", sagte Häupl. Auch wollte der Bürgermeister seine Kritik explizit nicht an Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl gerichtet wissen, der gemeinsam mit Voves die Debatte angestoßen hatte. In diesem Fall ist der Begriff Parteifreund auch buchstäblich zu verstehen.
Neue Agenden
Doch Voves hat auch parteiinterne Kritik geübt und in einem Interview mit der "Kleinen Zeitung" die Sozialdemokratie gerügt, das Unbehagen der Menschen nicht anzusprechen. "Es gibt die Angst, von der eigenen Bewegung ins rechte Eck gestellt zu werden", sagte Voves.
Doch es steckt wohl mehr dahinter als nur Angst. "Das Thema Integration nutzt nur den Freiheitlichen", sagt Politologe Peter Filzmaier. Jede Partei habe gewisse Themen, von denen sie in einer öffentlichen Debatte profitiert. Geht es um Wirtschaft nütze dies der ÖVP, bei Sozialpolitik der SPÖ, bei Umwelt den Grünen und bei Integration eben der FPÖ. "Das ist das grundlegende Problem in dieser Debatte für die SPÖ", sagt Filzmaier.
Gerade für Häupl, der sich am "Vorabend eines Wahlkampfes" befindet, wie er es selbst formulierte, bedeutet die aus Graz kommende Ausweitung sozialdemokratischer Agenden eine Gefahr. Die Abgrenzung zu Blau ist eine wesentliche Säule sowohl der Wiener Partei als auch der Bundespartei. Kanzler Werner Faymann ist selten so klar wie in der Distanzierung zur FPÖ. Doch Faymann wählt nicht, Wien schon.
"Dann kommen auf einmal die Landeshauptleute und schießen die Strategie über den Haufen", analysiert Hofer. Häupl musste also reagieren, und zwar deutlich, und nicht aufgrund persönlicher Antipathie zu Voves.
Doch könnte der Streit sogar beiden Politikern nutzen? Etwa weil sich Voves noch stärker von der Bundeshauptstadt distanzieren und so die Anti-Wien-Fraktion auf seine Seite ziehen kann. Filzmaier glaubt das nicht, Österreich sei zu klein, um über regionale Medien eine andere Linie vertreten zu können. Größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Positionen der SPÖ durch uneinheitliche Aussagen aufweichen.
Die bisherige Abgrenzung zur FPÖ ist freilich parteiintern nicht mehr sakrosankt, Niessl hat über eine mögliche Koalition mit den Freiheitlichen im Burgenland sogar die Basis befragt, die mit großer Mehrheit für diese Denkmöglichkeit stimmte. Dahinter stecke laut Filzmaier die Überlegung, rot-blaue Wechselwähler zu erreichen, auch wenn das linke SPÖ-Sympathisanten abschreckt. "Der Zickzackkurs könnte aber dazu führen, dass man sich die Nachteile beider Strategien einhandelt", sagt Filzmaier. Linke Wähler könnten sich abwenden, ohne dass bisherige FPÖ-Wähler im gleichen Ausmaß zurückwandern. "Es könnte für die SPÖ eine No-Win-Situation werden", sagt Filzmaier.
FPÖ (k)eine Koalitionsoption?
Doch ist die Diskussion einmal eröffnet, ist sie nicht so einfach wieder zu beenden. Zwar versuchte Faymann am Rande des SPÖ-Präsidiums am Freitag, aus dem sich Voves schon vor längerer Zeit zurückgezogen hat, zu kalmieren und verwies auf die "bekannt lebhafte SPÖ", doch die Partei muss sich wohl oder übel auf eine Strategie festlegen.
"Wenn schon Variante a, das Thema weitgehend zu verschweigen, nicht funktioniert, muss man eben Variante b umsetzen und es offensiv angehen", sagt Filzmaier. Das hieße: Nicht öffentlich darüber streiten, sondern zuerst intern ein klares Konzept ausarbeiten und dies dann geschlossen in der Öffentlichkeit vertreten, ähnlich wie bei der Steuerreform.
Das wäre dann zwar immer noch kein Heimspiel für die Sozialdemokraten, sie hätte aber die Initiative auf ihrer Seite. Bleibt aber noch die Frage, ob es dann bei dieser einen thematischen Annäherung zur FPÖ bleibt. Unter einem Obmann Faymann schließen Hofer und Filzmaier Koalitionen mit der FPÖ aus. "Langfristig ist das eine Option, die die SPÖ wohl irgendwann ziehen muss, auch weil sie in Koalitionsverhandlungen limitiert ist", sagt Politikberater Hofer. "In ihrer jetzigen Situation wäre das aber eine Zerreißprobe, die die Partei nur schwer überstehen würde."