Zum Hauptinhalt springen

Zweierringen mit einem Dritten im Hintergrund

Von Martyna Czarnowska

Politik
ap/Keplicz; reu/Pempel; reu/Agencja Gazeta

Die Präsidentenwahl in Polen zeigt erneut die Risse in der Gesellschaft.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Warschau. Offiziell sind es zwei, die zur Stichwahl antreten. Doch wenn am Sonntag die Polen über ihren künftigen Staatspräsidenten entscheiden, spielt auch noch ein Dritter eine Rolle. Auf dem Wahlzettel stehen zwar lediglich die Namen des Amtsinhabers und seines Herausforderers, Bronislaw Komorowski sowie Andrzej Duda. Doch ihre Kampagne seit dem ersten Durchgang vor knapp zwei Wochen haben die beiden Politiker nicht zuletzt dazu genutzt, um die Gunst jener zu werben, die sich für Pawel Kukiz ausgesprochen haben. Der Rockmusiker, der nur auf eine kurze Zeit als Lokalpolitiker zurückblicken kann, hat auf Anhieb jede fünfte Wählerstimme erhalten.

Zu dieser Überraschung kam eine weitere hinzu: Für Duda votierten mehr Polen als für Komorowski, anders als es jede Umfrage zuvor prognostiziert hatte. Um einen Prozentpunkt lag der Vertreter der größten Oppositionspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) vor dem aktuellen Präsidenten, der aus der regierenden Bürgerplattform (PO) kommt. Die Kandidaten konnten jeweils rund ein Drittel der Stimmen für sich gewinnen.

Mit einer Portion Misstrauen sind daher nun auch die Ergebnisse der jüngsten Befragungen zu betrachten, die Komorowski wieder einen leichten Vorsprung vor seinem Kontrahenten geben. Doch dürfte dem Amtsinhaber die Fernsehdebatte am vergangenen Sonntag tatsächlich Auftrieb gegeben haben. Der 62-Jährige, der bis dahin vor allem staatstragend und beruhigend auftreten wollte, zeigte sich beim TV-Duell mit Duda angriffslustiger als sonst. Der erste Wahlgang dürfte denn auch ein Weckruf für Komorowskis Team gewesen sein, das nach Meinung zahlreicher Kommentatoren den größten Teil der Kampagne zuvor verschlafen oder das Potenzial des Oppositionskandidaten unterschätzt hat.

Der rund 20 Jahre jüngere Duda, den PiS-Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski für die Bewerbung aus dem EU-Parlament geholt hat, war wiederum gut beraten, in der Kampagne das Thema des Flugzeugabsturzes bei Smolensk in Russland zu meiden. Für seine Aussagen dazu war er nämlich einigen Polen bekannt. Bei der Katastrophe vor fünf Jahren sind der damalige Präsident und Kaczynskis Zwillingsbruder Lech Kaczynski sowie weitere 95 Passagiere umgekommen. Und Duda gehört zu jener Gruppe von Menschen, die nicht unbedingt an einen Unfall glauben.

Polarisierung bleibt

Die Aufteilung in Verschwörungstheoretiker und andere ist aber nur ein Symptom für die Polarisierung in der polnischen Gesellschaft, die seit mehr als einem Jahrzehnt auch in der Politik sichtbar wird - und von dieser gleichzeitig für ihre Zwecke genutzt wird. Da stehen einander die zwei größten Parteien, PO und PiS, gegenüber, die jahrelang von Männern mit einem starken Führungsanspruch geleitet wurden: Donald Tusk, der mittlerweile von der Position des Premierministers in das Amt des EU-Ratspräsidenten gewechselt ist, und Jaroslaw Kaczynski. Dabei haben beide Gruppierungen den gleichen Ursprung in der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc. PiS entwickelte sich aber zu einer rechtskonservativen Fraktion, während PO zumindest in einigen ökonomischen Fragen einen liberaleren Weg einschlug.

Die Risse, die dieses Auseinanderdriften hinterlassen hat, zeigen sich noch immer regelmäßig bei Urnengängen: Den Wählern aus ärmeren, weniger gebildeten Schichten und bäuerlichen Gegenden, die auf den konservativen PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski und seine Partei setzen, stehen dabei PO-Sympathisanten gegenüber, die zum großen Teil in Städten wohnen und sich von der wirtschaftsliberaleren Bürgerplattform mehr Perspektiven erhoffen.

Werben um Protestwähler

Allerdings wächst auch die Zahl jener, die von diesem Zweierringen der größten Fraktionen erschöpft sind. Und das erklärt den Erfolg des in Lederjacke und als Systemkritiker auftretenden Kukiz, der auch eher dem rechten politischen Spektrum zuzurechnen ist. Um die Stimmen seiner Anhänger werben Komorowski und Duda nun, indem sie die Hauptforderung des Mitbewerbers der ersten Runde aufgenommen haben: die Einführung eines Mehrheitswahlrechts ähnlich wie in den USA oder in Großbritannien. Komorowski hat bereits ein Referendum darüber in Aussicht gestellt.

Doch nicht nur um die Gruppe der Protestwähler müssen die beiden Kandidaten kämpfen. Sie haben nicht zuletzt ihr eigenes Elektorat zu mobilisieren. Vor knapp zwei Wochen hat es nicht einmal die Hälfte der rund 30 Millionen Wahlberechtigten zu den Urnen geschafft. Wie sehr die Bürger zu motivieren sind, wird nicht nur für das Ergebnis des Urnengangs am Sonntag ausschlaggebend sein, sondern auch zu einem Testfall für das nächste Votum. Im Herbst bereits steht in Polen die Parlamentswahl an.

Kukiz hat schon angekündigt, sich um einen Platz im Sejm zu bewerben. Kann er seinen Erfolg bei der Präsidentenwahl wiederholen, könnte er bei der späteren Regierungsbildung ebenfalls eine Rolle spielen.