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Zweikampf in Ankara

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Vizepremier Arinc erteilt Erdogans Einmischungsversuchen in der Kurdenfrage eine Absage.


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Istanbul. Das hat es in der Türkei noch nie gegeben: Politiker der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP gehen in aller Öffentlichkeit aufeinander los. Ein Streit zwischen dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und der Regierung des Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu über den kurdischen Friedensprozess hat heftige innerparteiliche Debatten ausgelöst. Zweieinhalb Monate vor den Parlamentswahlen am 7. Juni geht es dabei letztlich um die Frage, wer eigentlich das Land führt - die formal zuständige Regierung oder der offiziell machtlose, aber die Macht beanspruchende Präsident.

Alles begann mit einer Rede Erdogans am Freitag, in der er beklagte, dass die Regierung in den Verhandlungen mit den Kurden zu weit gehe. Eine angekündigte Beobachterkommission zur Begleitung des Friedensprozesses bezeichnete der Präsident als "nutzlos". Während Regierungschef Davutoglu schwieg, widersprach Vizepremier Bülent Arinc unerwartet deutlich. Der Friedensprozess mit den Kurden sei nicht Erdogans Sache, seine Kritik "unangemessen". "Wir lieben unseren Präsidenten", aber niemand solle vergessen, "dass es in diesem Land eine Regierung gibt", sagte der gut vernetzte Mitbegründer der AKP, der plötzlich als parteiinterner Gegenspieler Erdogans erscheint.

Erdogan verschärfte seine Kritik daraufhin und rügte am Sonntag eine gemeinsame Pressekonferenz von Ministern und Politikern der pro-kurdischen HDP Ende Februar in Istanbul als "unpassend". Türkische Medien spekulieren, dass er dann den ihm treu ergebenen AKP-Bürgermeister der Hauptstadt Ankara, Melih Gökcek, dazu brachte, Arinc als "willigen Agenten des "Parallelstaates" zu diskreditieren - der Bewegung des in den USA lebenden Islampredigers Fethullah Gülen, den Erdogan als seinen Erzfeind betrachtet. Gökcek forderte die Regierung auf, Arinc zu entlassen. "Wir wollen dich nicht, Bülent Arinc!", twitterte er.

Der Angegriffene wehrte sich in den Medien und bezichtigte Gökcek massiver Korruption: Der Parteifreund selbst habe "Ankara Stück für Stück an diese Struktur verkauft" und den Gülenisten wertvolle Grundstücke zugeschanzt. Arinc erklärte zwar, er wolle vor der Parlamentswahl keine Unruhe erzeugen, doch am Tag danach würde er Gökceks "Missetaten" enthüllen.

Für die Türkei sind Vorgänge wie diese ungewöhnlich, denn die AKP gilt als monolithischer Block, deren Stärke stets ihre Einigkeit war. Murat Yetkin, Chefredakteur der liberalen "Hürriyet Daily News", erkennt nur an der Oberfläche einen Streit um die kurdische Frage: "Tatsächlich geht es um die Macht des Präsidenten und der Regierung."

Laut Verfassung bestimmt der Ministerpräsident die Politik. Gleichwohl redet Erdogan seit der Präsidentenwahl im August täglich ins Regierungsgeschäft hinein. Nach der Parlamentswahl möchte er per Verfassungsänderung ein Super-Präsidialsystem installieren, das ihn auch formal ermächtigt. Premier Davutoglu gilt als Gegner des Vorhabens, scheut aber jede Machtprobe mit Erdogan. Vielleicht ist das der Grund, dass Arinc sich in Stellung bringt. Er wird damit als Frontmann jener Kräfte in der AKP erkennbar, denen Erdogan jetzt schon zu mächtig ist. Als sich Davutoglu am Dienstag erstmals öffentlich äußerte, bestritt er jedoch Differenzen zwischen Regierung und Präsident und erklärte, dass sich der Disziplinarrat der Partei mit Gökcek und Arinc befassen werde.

Das Erdogan-Lager macht unterdessen mobil. Am Dienstag druckten zahlreiche regierungsnahe Blätter auf ihrer Titelseite "Kein Frieden im Schatten der Waffen" und zielten damit auf den Ausgangspunkt des Konfliktes. Es könne, so erklärte Erdogan am Montag, mit der Kurdenguerilla PKK keine Verabredungen geben, ohne dass diese zuerst die Waffen niederlege; ein 10-Punkte-Friedensplan des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan sei inakzeptabel. Der Plan war am Sonnabend beim kurdischen Neujahrsfest Newroz in der Kurdenmetropole Diyarbakir erneut verlesen worden und sieht die Entwaffnung der PKK vor, wenn die Regierung bestimmte Bedingungen erfüllt.

Erdogan fürchtet wohl Stimmenverluste an die ultranationalistische Partei MHP, die Verhandlungen mit der PKK strikt ablehnt. Vor einigen Tagen sagte der Präsident, der als Premier einst die Kurdenfrage auf die politische Agenda setzte, dass es in der Türkei gar kein Kurdenproblem gebe.

Offenbar haben ihn Umfragen aufgeschreckt, die der AKP massive Stimmenverluste prognostizieren. Hatte Erdogan die Partei bei der Parlamentswahl 2011 noch mit 49,8 Prozent der Stimmen zum Sieg geführt, sehen mehrere Institute die konservativ-islamische Partei derzeit um die 40 Prozent. Erstmals könnte die seit mehr als zwölf Jahren regierende AKP ihre absolute Mehrheit im Parlament einbüßen.